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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0208
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Grundsätze des Philosophierens

205

Bei diesen Verabsolutierungen besteht die Neigung des Erkennens, sich dergestalt zu
vollziehen, dass ein dinghaftes, anschauliches Haben des Seins in unserer Umwelt oder
umgekehrt eine Abstraktion zum Sein der Realität wird. Wie diese dann auch gedacht
wird - ob sinnlich als die Greifbarkeit des Stoffes selber, oder ob als Erscheinung eines
anderen, oder ob anschaulich in Modellen des Zugrundeliegenden im Raum, oder ob in
Überwindung der sich ergebenden Unstimmigkeiten im unanschaulichen Zugrunde-
liegenden, aus dessen mathematischer Erkennbarkeit die Natur als eine Verwirklichung
des Mathematischen mit Hilfe letzter, undurchdringlicher Naturkonstanten erscheint -,
jedesmal ist die Tendenz, trotz der zunächst betonten Gleichnishaftigkeit der Modelle
oder trotz der Abstraktheit des Mathematischen doch das darin Getroffene für das An-
sich der Realität zu halten.
Gegen diese Tendenzen bleibt die grundsätzliche Einsicht: Die Realität ist jeweils eine
bestimmte, auf diesen Wegen sich so zeigende, sie ist nie das Umgreifende. Die Voraus-
setzung einer abschliessenden Realität an sich als Gegenstand der Erkenntnis ist falsch.
Die absolute Realität wäre eine. Die Probleme zeigen sich deutlicher überall, wo die
Einheit der Natur zum Thema wird.
b. Die Einheit der Natur
Nichts scheint selbstverständlicher als die Einheit der Natur. Sie ist doch als das eine
Weltganze ständig da. Alles hat zu allem eine Beziehung, nirgends ist ein Bruch, kon-
tinuierlich geht in Raum und Zeit alles ineinander über. Wir leben in der Stimmung
des Einen, das alles ist, wenn wir auch nicht geradezu sagen können, was es ist: Welt,
Natur, das Alleben.
Ebenso selbstverständlich aber ist, dass bei bestimmter Erkenntnis nur einzelne
Dinge, Geschehnisse, Regelmässigkeiten in der Welt getroffen werden, und dass we-
nigstens die meisten Erkenntnisse nicht die Welt im Ganzen betreffen.
Gibt es überhaupt Erkenntnis von der Welt im Ganzen? Man hat sie jederzeit zu be-
sitzen vermeint. In den Weltbildern wird solche Erkenntnis ausgesprochen, sei es[,]
dass man die eine universale Naturgesetzlichkeit, oder sei es [,] dass man das eine Welt-
geschehen meinte, das nach solchen Gesetzen verläuft, aber in seiner Fakticität nur
historisch feststellbar ist.
Nun zeigte sich, dass in der Tat die Welt als Ganzes uns niemals Gegenstand wird,
sondern dass alle Gegenstände, seien sie so gross, wie es uns nur möglich ist, dass auch
alle Weltbilder nur in der Welt, nicht die Welt sind. Aussagen über die Realität des
Weltseins im Ganzen erwiesen sich als unmöglich dadurch, dass sie zu widersprechen-
den, in der Widersprüchlichkeit unlösbaren Sätzen - den Antinomien - führten. Kant
sagte daher, die Welt ist nicht Gegenstand, sondern Idee. Aussagen, wie die Welt sei
endlich oder unendlich, habe Anfang in der Zeit oder keinen Anfang, sind nur als An-
tinomien möglich. Statt von der einen Welt im Ganzen eine durch Forschung er-
 
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