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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0211
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208

Grundsätze des Philosophierens

der Töne als mechanischer Wellenschwingungen der Luft, weiter der Wärme als me-
chanischer Bewegung der Moleküle. Was in der Physik anfänglich als Mechanik, Wär-
melehre, Akustik, Optik, Magnetismus, Elektricitätslehre getrennt war, führt dann wei-
ter zu einer Vereinheitlichung, indem das Licht als Teilgebiet der elektrischen Strahlen
erkannt, die Gravitation in Beziehung zu elektromagnetischen Erscheinungen ge-
bracht wurde. Nun zuletzt wurden die gesamten Erscheinungen der leblosen Welt ge-
gründet in der Atomphysik.
Heisenberg hat davon gesprochen, dass nun die Einheit des naturwissenschaftli-
chen Weltbildes im Princip erreicht sei und nur noch in Bezug auf das Einzelne in der
Durchführung sich befinde. Die Naturwissenschaften könnten aus der Zersplitterung
in Specialitäten nunmehr wieder eine grosse Einheit der Wissenschaften werden. Einst
waren sie es auf speculativer Grundlage, jetzt sind sie es durch empirische Forschung
geworden.
Was bedeuten solche Ansprüche der Atomphysik und was solche Perspektiven? Der
universale Charakter der neuen Erkenntnisse ist unbestreitbar. Da überall, wo empiri-
sche Realität ist, auch Materie ist, so trifft Erkenntnis der Materie etwas überall Gegen-
wärtiges. Aber Universalität ist nicht Einheit des Ganzen.
Aus den Grunderkenntnissen der universalen Elemente aller Materie und Energie
oder vielmehr dessen, in denen dieses beides untrennbar eines ist, können zwar eine
Menge von Erscheinungen vorausgesagt und abgeleitet werden. Doch die Grenze sol-
cher Ableitung ist offenbar: Die Kluft zwischen der Atomphysik und der concreten
Chemie, die nicht anders als bisher verfährt und erkennt, ob sie nun nebenbei auch
auf Atomphysik blickt, oder ob sie es nicht tut, beruht nicht nur auf technischen Grün-
den. Ableitung bedeutet nur Inbeziehungsetzung von quantitativ fassbaren Eigen-
schaften, die zu Reihen geordnet werden, deren Entstehung selber damit keineswegs
begriffen ist. Es wird eine allgegenwärtige Grundlage der Materie begriffen, allgegen-
wärtig vielleicht wie das Wasser im Lebendigen, d.h. von Etwas, ohne das kein leben-
diges und kein materielles Geschehen stattfindet, aus dem dieses Geschehen jedoch
nicht begriffen wird.
Der Realitätsbegriff, durch den die Einheit der Natur erfasst sein soll, trifft in der
Tat nicht die Naturrealität im Ganzen, sondern eine specifische Realität an ihr, deren
Universalität dadurch erkauft ist, dass bei solcher Erkenntnis auf die Fülle der fakti-
schen Naturerscheinungen verzichtet wird; diese bleiben äusser dem Bereich der Er-
klärbarkeit oder sogar des Fragens. Solche Einheit ist die Erkenntnis einer neuen, uni-
versalen Realität, ist nur eine Einheit, nicht die Einheit.
Heisenberg meint[,] »es sei möglich, die Eigenschaften der Materie überall dort
quantitativ zu berechnen, wo nicht die mathematische Komplikation die praktische
Durchführung der Aufgabe verhindert.«158 Der Chemiker nehme bei seinen concreten
Forschungsaufgaben von der Atomphysik keine Notiz, »da die wirkliche Durchfüh-
 
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