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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0213
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Grundsätze des Philosophierens

nes sich durch sie hindurchziehenden, alles bedingenden Bodens, nicht der Realität
selber, sondern ihres Mediums.
Bei Erörterungen der Einheit ist zu unterscheiden die Einheit der Natur, die Einheit
der Wissenschaften, das Eine, das dem Philosophieren aufgeht. Es ist nicht so, dass die
Einheit der Natur die Einheit der Wissenschaften hervorbringe und aus beiden das Eine
für die philosophische Vergewisserung erwachse. So wird etwa die Zersplitterung der Wis-
senschaften in Specialitäten keineswegs aufgehoben durch die Entdeckung der Atom-
physik. Das Universale wird vielmehr eine neue Specialität. Die Einheit der Wissenschaf-
ten entspringt nicht der Entdeckung einer fragwürdigen Einheit der Natur, sondern dem
grenzenlosen Wissenwollen, das allseitig offen ist und allseitig Beziehungen des Erkenn-
baren sucht; diese Einheit ist nicht die Einheit einer Sache, sondern die Totalität der wis-
senschaftlichen Haltung oder des wissenschaftlichen Raums. Als Einheit der Sache selbst
ist für den kritischen Forscher weder die Natur, noch die Welt, noch das Sein da. Solche
Einheit ist allein der philosophischen Erfahrung für Existenz mit ihrer Geschichtlichkeit
zugänglich im Einen, das allgemein ausgesagt sogleich leer und verwässert wird.
cc. Die Einheit des Lebens im »endlich totalen Geschehen« (Woltereck):160 Ob die
Welt überhaupt, ob das Leblose, ob das Leben, immer ist die Objektivierung zu einem
Ganzen, das Eines ist, das ständig antreibende Ziel, aber in jeder Verwirklichung wird
dieses Ganze eine fälschlich vorwegnehmende Vergegenständlichung, welche in der
Tat unmöglich ist.
So ist es zumeist eine unbefragte, selbstverständliche Voraussetzung, dass das Le-
ben im Ganzen einer Theorie im Ganzen zugänglich sein müsste; so dass alle Seiten
der Lebensvorgänge, alle besonderen Erscheinungen des Lebens in diesem einen Gan-
zen Zusammenhängen, das auf ein Princip zu bringen sein muss. Diese Voraussetzung
scheint um so zwingender zu sein, als doch jedes Leben als dieser eine Leib, als diese
Pflanze, dieses Tier, dieser Mensch handgreiflich da ist, ferner weil ich mich selber mit
meinem Leibe eines weiss und mich das Bewusstsein des Eins-seins als lebendiges
Selbstgefühl trägt.
Aber die Wahrheit dieses Bewusstseins versteht sich falsch, wenn diese Einheit Ge-
genstand wird in der Erkenntnis des Lebens, welche Biologie heisst. Denn die Einheit
des Ganzen erweist sich in jeder wissenschaftlichen Theorie der Einheit des Lebens ge-
rade verloren. Jede Einheit zeigt sich als eine Einheit im Lebendigen, nicht als die Ein-
heit des Lebens. Das vergegenwärtigen wir an einigen Positionen.
i. Ein gemeintes endlich totales Geschehen ist faktisch nie das totale. Wo man über
allgemeine Redewendungen hinauskommt, die noch nicht oder nicht mehr Theorien
sind, weil aus ihnen keine methodischen Fragen für die Forschung entstehen, und wo
man den Blick auf das ungefähre, in weiter Distanz sich scheinbar als Eines zeigende
Lebensgeschehen deutlich haben will und das totale Geschehen bestimmt charakte-
risiert, da ist es nicht mehr das Ganze. Auch das durchgehendste, einen Augenblick
 
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