Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0214
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Grundsätze des Philosophierens

211

scheinbar totale Geschehen ist, wenn es bestimmt aufgefasst wird, ein einzelner Zu-
sammenhang unter anderen. Es ist hier, wie überall, ein Irrtum, sich im gegenständ-
lich Fasslichen des Ganzen des Seins bemächtigen zu können. Für die Erkenntnis ist,
was immer wir vor uns bekommen, ungeschlossen und unschliessbar. Es kommt uns
entgegen aus dem Umgreifenden, das selber gleichsam zurückweicht, wenn es in Sub-
jekt-Objekt-Spaltung sich indirekt durch Erkenntnis von Ganzheiten offenbart.
2. Woltereck sieht die Einheit des Lebens in dem »Innen«.161 Da er überzeugend
wahrnimmt, dass nichts von dem äusserlich Erkennbaren die Einheit des Lebens aus-
macht, dass vielmehr immer ein Unräumliches, nicht direkt Beobachtbares für das Le-
bensgeschehen entscheidend ist, so meint er, dass dieses objektiv Gedachte, Unräum-
liche grundsätzlich dasselbe sei wie das, was wir in unserem inneren Erleben kennen:
das Intendieren auf Ziele, die Antriebe, die Gefühle der Lebendigkeit, Erregung, Kraft.
Die Innerlichkeit des Lebens im Sinne eines erforschbaren Gegenstandes ist jedoch zu
bezweifeln:
aaa. Was wir innerlich erleben, ist nicht etwa die Innerlichkeit eines Lebensgesche-
hens, das wir zugleich von aussen biologisch wahrzunehmen vermöchten. Vielmehr
ist, was wir innerlich erleben[,] u.a. auch Wahrnehmung eines Lebensgeschehens in
uns, Wirkung unseres Leibgeschehens auf uns, ein vitales Empfinden und Fühlen, aber
so, dass die »Innerlichkeit« des Lebensgeschehens im eigenen Leib uns ebenso fern
bleibt wie im fremden, nur von aussen beobachteten Leibe. Das Gebiet der Sinnesphy-
siologie und Sinnespsychologie gibt bei all den Versuchen, in denen der Beobachter
mit seinem eigenen Sinnesorgan als Objekt experimentiert, die anschaulichen Belege.
bbb. Wird das Innerliche unseres Erlebens und das Innere des biologischen Gesche-
hens zusammengebracht, so handelt es sich nur um Gleichnis oder um Analogie. So ist
z.B. erstens das real erlebte »Ich« keineswegs das »Subjekt« des Lebens; das Ich ist gar-
nicht das biologische Centrum, nicht das, wovon das leibliche Leben tatsächlich diri-
giert wird. Zweitens ist der erlebte Drang keineswegs irgendwo zugleich ein morpholo-
gisch-physiologisches Geschehen in einer Richtung und ist dieses gerichtete Geschehen
nicht als Drang erfahrbar. Drittens ist Innerlichkeit als Bewusstsein etwas grundsätz-
lich anderes wie das Innere als ein Nichträumliches, Nichtmaterielles, als die denkend
wahrgenommene Norm, Typik, Form, als Sinn und Zweck eines Geschehens.
ccc. Das Bewusstsein ist keineswegs das zur Bewusstheit gesteigerte biologische In-
nere. Bewusstsein ist nicht zu begreifen als eine sekundäre, zum Leben hinzukom-
mende, im Leben als solchem schon verborgene Daseinsform. Es ist ein Sprung zwi-
schen Bewusstlosigkeit und Bewusstsein, und zwar erstens zur Innerlichkeit dieses
Erlebens überhaupt, zweitens zum gegenständlichen, »intentionalen« Bewusstsein,
drittens zur Reflexion auf sich selber.
Man denkt fast selbstverständlich: weil der Mensch ein Innen habe und daraus lebe
und erlebe, müsse dieses aus vorhergehendem Leben entstanden sein, sonst sei es nicht
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften