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Grundsätze des Philosophierens
Was in der Gesamtgeschichte einmal zu planen und zu erreichen möglich ist, ist
nicht vorwegzunehmen. Es gibt keine exakte Grenze zwischen dem Möglichen und
dem Unmöglichen im vorhersehenden Wissen und im planenden Können. Aber gegen
ein übermütiges, utopisches In-die-Hand-nehmen des Ganzen steht die kritische Be-
scheidung im verantwortlichen Erforschen des Tatsächlichen und Verwirklichen des
Möglichen. Und gegen die skeptische Dogmatisierung vermeintlich endgültiger Erfah-
rung vom Menschen und vom menschlich Möglichen meinte Kant mit Recht, dass
nicht abzusehen sei, was durch Ideen zu verwirklichen ist und wie weit der Mensch
durch sich selbst aus seiner sittlichen Freiheit sich zu verwandeln vermöge.172
Man kann hinweisen auf die offenbaren Massenwirkungen durch Suggestion, auf
den wirksamen Appell an die elementaren Antriebe des vitalen Daseins, auf die grösste
Einmütigkeit im Gemeinen.
Man kann weiter hinweisen auf die von allen gefühlte Notwendigkeit, dies zu ver-
decken. Erst im Gewände eines moralischen Pathos, einer sentimentalen Einkleidung,
nicht in unmittelbarer Brutalität pflegt sich das Niedrige durchzusetzen. Es ist wie eine
Anerkennung des Guten durch seinen Schein, der noch im Gemeinen seinen, wenn
auch lügenhaften Tribut zahlt.
Man kann auf das radikal Böse im Menschen weisen, wie Kant es begriffen hat, auf
diese universale Verkehrung, dass das Gute nur unter der Bedingung einer Befriedi-
gung von Trieben und Zwecken des Daseins gewollt werde, dass also das Unbedingte
unter die Bedingung des Bedingten, das Höhere unter die Bedingung des Niederen ge-
stellt werde.173
Aber das ist nun eine Grundmöglichkeit im Menschen: dass er sich aus der Verkeh-
rung erheben kann. Er weiss nicht wie, er ist nie gewiss, ob es ihm gelungen ist. Es ist
das Wunder des Offenbarwerdens des Wahren im Sichgeschenktwerden des eigenen
Willens. Und es ist zugleich die Grundentscheidung, über deren Stattfinden keine psy-
chologische, sociologische, naturwissenschaftliche Erkenntnis etwas auszusagen ver-
mag; denn niemand vermag festzustellen, ob er in der Verkehrung bleibt oder mit ih-
rer Überwindung das Gute seiner selbst wegen unbedingt will. Ob er auf dem Wege ist,
der auf die geschehene Entscheidung deutet, erfährt er beschwingend in der Wirklich-
keit des Tuns, in der Communication, im Angesprochenwerden.
In der Geschichte ist es eine hinter allem blos Empirischen liegende Alternative:
Ob der Demagoge zum Guten, oder zum Bösen lenkt; ob ein Herrscher3 an den Willen
zum Guten in der Masse sich wendet oder von unten das Böse zur Entwicklung treibt,
ob er Gott dient oder den Teufel in Bewegung setzt. Aber es bleibt die Zweideutigkeit
aller Geschichte, dass in keinem Fall eine rein objektive, beweisbare Entscheidung
möglich ist, sondern eine Wahrheit aus der Tiefe der möglichen Existenz spricht, die
Herrscher im Ms. hs. Vdg. für Führer von oben
Grundsätze des Philosophierens
Was in der Gesamtgeschichte einmal zu planen und zu erreichen möglich ist, ist
nicht vorwegzunehmen. Es gibt keine exakte Grenze zwischen dem Möglichen und
dem Unmöglichen im vorhersehenden Wissen und im planenden Können. Aber gegen
ein übermütiges, utopisches In-die-Hand-nehmen des Ganzen steht die kritische Be-
scheidung im verantwortlichen Erforschen des Tatsächlichen und Verwirklichen des
Möglichen. Und gegen die skeptische Dogmatisierung vermeintlich endgültiger Erfah-
rung vom Menschen und vom menschlich Möglichen meinte Kant mit Recht, dass
nicht abzusehen sei, was durch Ideen zu verwirklichen ist und wie weit der Mensch
durch sich selbst aus seiner sittlichen Freiheit sich zu verwandeln vermöge.172
Man kann hinweisen auf die offenbaren Massenwirkungen durch Suggestion, auf
den wirksamen Appell an die elementaren Antriebe des vitalen Daseins, auf die grösste
Einmütigkeit im Gemeinen.
Man kann weiter hinweisen auf die von allen gefühlte Notwendigkeit, dies zu ver-
decken. Erst im Gewände eines moralischen Pathos, einer sentimentalen Einkleidung,
nicht in unmittelbarer Brutalität pflegt sich das Niedrige durchzusetzen. Es ist wie eine
Anerkennung des Guten durch seinen Schein, der noch im Gemeinen seinen, wenn
auch lügenhaften Tribut zahlt.
Man kann auf das radikal Böse im Menschen weisen, wie Kant es begriffen hat, auf
diese universale Verkehrung, dass das Gute nur unter der Bedingung einer Befriedi-
gung von Trieben und Zwecken des Daseins gewollt werde, dass also das Unbedingte
unter die Bedingung des Bedingten, das Höhere unter die Bedingung des Niederen ge-
stellt werde.173
Aber das ist nun eine Grundmöglichkeit im Menschen: dass er sich aus der Verkeh-
rung erheben kann. Er weiss nicht wie, er ist nie gewiss, ob es ihm gelungen ist. Es ist
das Wunder des Offenbarwerdens des Wahren im Sichgeschenktwerden des eigenen
Willens. Und es ist zugleich die Grundentscheidung, über deren Stattfinden keine psy-
chologische, sociologische, naturwissenschaftliche Erkenntnis etwas auszusagen ver-
mag; denn niemand vermag festzustellen, ob er in der Verkehrung bleibt oder mit ih-
rer Überwindung das Gute seiner selbst wegen unbedingt will. Ob er auf dem Wege ist,
der auf die geschehene Entscheidung deutet, erfährt er beschwingend in der Wirklich-
keit des Tuns, in der Communication, im Angesprochenwerden.
In der Geschichte ist es eine hinter allem blos Empirischen liegende Alternative:
Ob der Demagoge zum Guten, oder zum Bösen lenkt; ob ein Herrscher3 an den Willen
zum Guten in der Masse sich wendet oder von unten das Böse zur Entwicklung treibt,
ob er Gott dient oder den Teufel in Bewegung setzt. Aber es bleibt die Zweideutigkeit
aller Geschichte, dass in keinem Fall eine rein objektive, beweisbare Entscheidung
möglich ist, sondern eine Wahrheit aus der Tiefe der möglichen Existenz spricht, die
Herrscher im Ms. hs. Vdg. für Führer von oben