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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0270
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Grundsätze des Philosophierens

267
schichte unserer Zeiten. Das Gesamtbild ist selber ein Faktor des Geschehens durch das
Seinsbewusstsein des Menschen, das jeweils in ihm sich versteht und zugleich durch es
mit hervorgebracht wird. Dieses Gesamtbild der Geschichte verwandelt sich selber ge-
schichtlich. Es entfaltet sich unter dem Einfluss der geschichtsphilosophischen Bilder,
die schon verwirklicht und wirksam gewesen sind, und am Leitfaden einiger allgemei-
ner Möglichkeiten. Diese sind in folgenden Gegensätzen zu charakterisieren:
I. Das Weltbild der Gesetze und das Weltbild der Geschichte: Es gibt das sich nur
wiederholende Sein: Das räumliche Dasein in seiner Dauer und grundsätzlichen Un-
veränderbarkeit ist der allgemein erkennbare Ablauf regelhaft wiederkehrenden Ge-
schehens. Es ist das Weltbild der Gesetze. Demgegenüber steht das Weltbild der Ge-
schichte: Alles ist geworden, war noch nie so und wird in weitere Verwandlung
eingehen. Alles hat seinen geschichtlichen Grund, ist an diesen gebunden in seiner
Einmaligkeit zu einmaligen Aufgaben. Es ist im Wesen unerkennbar, weil nicht gene-
ralisierbar, aber offen für unendliches Eindringen in anschauender Vergegenwärti-
gung; es ist Quelle für erweckende Aneignung.
Geschichte ist als einmaliges Geschehen schon im Kosmos. Es muss sogar eine Ge-
schichte der Materie geben. Wenn auch jede Deutung des kosmischen Gesamtgesche-
hens noch hypothetisch ist, so ist sie doch der Form nach eine historische Auffassung,
die auf dem Wege zum Erblicken der kosmischen Totalgeschichte liegt (wenn diese für
uns auch nie sich runden und abschliessen wird, derart, dass man erkennen könnte:
hier beginnt es mit der Schöpfung der Welt). Ein historisches Bild des Kosmos ist z.B.
die Auffassung von der anfänglichen Entstehung der Elemente aus dem Wasserstoff,
von der damit sich vollziehenden Explosion, diesem ungeheuren Ereignis, mit dem
die Welten der Sterne entstehen. Es wird erschlossen aus den heute noch bestehenden
Wirkungen, erstens aus der selber aus der Flucht der Sternnebel erschlossenen Ausdeh-
nung des Weltalls (de Sitter),205 zweitens aus den sogenannten kosmischen Strahlen,
die ihren Ursprung in jener ersten Explosion haben sollen, drittens aus der Tatsache,
dass alle Elemente in aller Sternmaterie identisch sind, was auf ihre einheitliche, nicht
gesonderte Entstehung in den einzelnen Sternen hinweisen soll.
Geschichte ist als Menschheitsgeschichte etwas radikal neues und anderes: ein Ge-
schehen, das sich wesentlich vorantreibt durch den Faktor, dass es sich selber reflek-
tiert, sich weiss und Entwürfe macht. Die Geschichte des Menschen schafft Neues auf
dem Grunde selbsthervorgebrachter Werke. Das Gewordene wird Material des Wer-
denden in der einzigartigen Weise des Sichdurchdringens mit der inneren Arbeit des
Geistes an sich selber. Ein Bild der Geschichte hat daher einen anderen Charakter als
die Darstellung eines nur äusseren Geschehens nach Regeln und Gesetzen. Es möchte
die innersten Entscheidungen menschlicher Existenz widerspiegeln, die in den Bewe-
gungen des Geistes ihre Folgen haben, und spüren lassen, wie die Transcendenz sich
dem Menschen in diesen Entscheidungen zeigte. Aber im Bilde des Wissbaren liegt
 
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