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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0275
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Grundsätze des Philosophierens

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Die Transcendenz, das Sein vor und ausserhalb der Welt, das, wodurch und wohin
alles ist, gibt dem Menschen als Einzelnem3 absolute Freiheit in der Welt, aber allein
dadurch, dass er sich auf diese Transcendenz, auf Gott bezogen weiss. Denn auch die
Idee des Ganzen der Realität versagt. Sie wird nicht klar; sie erweist sich in jeder be-
stimmten Gestalt als am Ende partikular; sie hebt das Scheitern nicht auf, da alles, was
real ist, an seine Grenze kommt, wo es als Dasein verschwinden muss. Allein das Maass
der Transcendenz befreit von der Realität, indem sie zugleich erlaubt und fordert, sich
ganz in die Realität als Zeitdasein einzusenken.
bb. Die Unendlichkeit des Deutens und die Gerechtigkeit: Was immer real wird, ist
allein dadurch, dass es faktisch ist, von Gewicht. Zum mindesten bedeutet es: die Welt
ist so, dass dieses möglich war. Allem Faktischen als solchem gegenüber ist die Frage
des Menschen, was es bedeuten könne im Sinne des ihmb freigegebenen und damit
aufgegebenem Geschehens. Die Vieldeutigkeit des Tatsächlichen fordert aber die dau-
ernde Bereitschaft verstehenden Hörens, eine Grundhaltung des bleibenden Fragens;
denn keine Deutung ist im Sinne einer Eindeutigkeit endgültig.
Deutung wird zu einem Kampfmittel in der concreten Situation zwischen Men-
schen. Durch Deutungen macht sich ein jeder Mut, sucht den anderen zu schwächen.
Deutung, wenn sie als wahr geglaubt wird, nimmt Sieg und Niederlage vorweg, diskre-
ditiert den Gegner, gibt sich selber das gute Gewissen des Rechts und dazu der meta-
physischen Notwendigkeit des eigenen Vorrangs. Ohne Deutung geschieht kein
Kampf, der den Charakter hat, Kampf unter Menschen zu sein. Gegenüber der Deu-
tung als Kampfmittel, wobei das an sich Überlegene, der Seinsgehalt im Ganzen, in der
Auffassung unter die Bedingung von Daseinsinteressen begrenzter Gruppen gestellt
wird, ist aber das eigentlich Menschliche möglich: Gegner werden solidarisch in ge-
meinsamer Weltdeutung und gemeinsamem Gottesglauben, stehen aber im Daseins-
kampf zur Entscheidung von in Verträgen unlösbaren Konflikten. Dann ist Deutung
nicht mehr Kampfmittel, sondern formt den Kampf selber zu ritterlichem Kampf.208
Diesen zu ermöglichen, will der Mensch aus der Idee der Gerechtigkeit verstehend
sehen, was wirklich geschieht, nicht zuerst beschuldigen oder rechtfertigen, sondern
sehen, was ist und was war, wie es ist, und wie es war. Es geschieht das suchende Ein-
dringen in die Tatbestände und in das Sein des Menschen ohne endgiltiges Totalurteil.
Der Raum wird frei, aus dem das eigentliche Sein sprechen kann, der allen gemeinsame
Grund fühlbar wird, gut und böse sich klären.
Wollte man scheiden den ritterlichen Kampf auf Tod und Leben zwischen solida-
risch im Sein der Transcendenz Verbundenen von dem bestialischen Kampf zwischen

a statt Einzelnem im Ms. Einzelnen
t> ihm im Ms. hs. Vdg. für vom Schöpfer der Welt
c und damit aufgegebenen im Ms. hs. Einf.
 
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