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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0302
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Grundsätze des Philosophierens

299

durch den Vergleich, als ob das Ganze auf dem inneren Tun eines einzigen Wesens be-
ruhe, das mit sich ringt, in dialektischen Umschlägen und Synthesen, in schöpferi-
schen Akten und Entfaltungen sich verwirklicht.
Was aber so für die Betrachtung - immer in mannigfachen Aspekten - scheinbar
gegenständlich wird, das kann in der Tat nicht im Ganzen gegenständlich werden.
Denn jede Objektivierung rundet ab, macht einseitig, hebt heraus auf eine Weise, die
die jeweilige geschichtliche Aneignung durch die Nachkommenden mit begründen
kann, aber für die Zukunft neues Verstehen und neue Gesamtanschauung nicht aus-
schliesst.
Dieser Gang der Dinge aus der Freiheit des Geistes wird eine verstandene Notwen-
digkeit. Es musste so kommen, nicht nach Naturgesetzen, sondern nach Sinngesetzen
der Freiheit, die selber nichts anderes ist, als die Verwirklichung des Sinns.
Dieser Vergleich behauptet insbesondere den Fortschritt in der Entwicklung. Im
objektivierten Bild ist nicht ein blosses Nacheinander und Anderswerden, sondern ein
Aufstieg oder ein Verfall. Die Grunderfahrung des Einzelnen in seinem Fortschreiten
wird auf das Geschehen im Ganzen übertragen. Hier aber entstehen eigentümliche
Verwechslungen.
Das Sichbemühen um Fortschreiten ist keineswegs als solches schon getragen vom
Glauben an den Fortschritt als Geschehen des Ganzen; der eigene Aufschwung ist
nicht Vertrauen in den Fortschritt überhaupt. Aber beides, das Tun des Einzelnen und
das Bild, das er in der Objektivierung des Ganzen sich macht, hat die Tendenz, zusam-
menzufliessen. Der Glaube an den Fortschritt des Ganzen kann aus Freiheit tun, was
nach diesem Glauben ohnehin notwendig geschieht. Die eigene Aktivität wird beflü-
gelt durch die Glaubensgewissheit des notwendigen Erfolgs. Die höchste Anstrengung
versteht sich als das notwendige Moment des Geschehens, das sie niemals verhindern,
wohl aber beschleunigen kann. Da aber die Objektivierung der Freiheit zu einem ver-
standenen notwendigen Geschehen des Ganzen Wagnis und Gefahr aufhebt, ist auch
die Passivität möglich, welche das eigene Tun als gleichgültig begreift, gehen lässt, was
doch nicht geändert werden kann, wobei wiederum diese Passivität ein notwendiges
Moment des Geschehens sei.
Nicht anders als bei dem Vergleich mit dem organischen heben führt auch der Ver-
gleich mit der Erfahrung der Freiheit in die Irrea, wenn sein Charakter als Vergleich ver-
gessen und eine fixierende gegenständliche Objektivierung in einem Wissen vollzo-
gen wird.
2. Kategoriale Typen der Totalbilder: Die geschichtliche Entwicklung ist entweder
schlechthin notwendig in erkennbaren Gesetzen ihres Verlaufs. Oder sie ist auch Sache
der Freiheit, gegründet in unvoraussehbaren und nachträglich causal unerkennbaren

Irre nach der Abschrift Gertrud Jaspers statt irre im Ms.
 
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