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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0306
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Grundsätze des Philosophierens

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ner leibhaften Realität in der Welt werden lässt, das heisst wenn der Glaube zum Aber-
glauben wird. Dann ist die Substantialisierung Quelle eines falschen Leibhaftigwer-
dens schliesslich der Transcendenz. Als Mächte, Dämonen, als Götter und Mysterien
gelten Sachen, die als daseiend vermeintlich gewusst werden. Wo das klar und trotz-
dem festgehalten wird, gelten gewaltsame Sätze nach dem Princip: ich glaube es nicht,
aber man muss es glauben? Was dann aber dieser Glaubensinhalt noch ist, das kann
auf keine Weise klar werden, da das Ausgesprochene ständig Realitäten in der Welt
trifft, die erforschbar sind[,] daher einen bestimmbaren Erkenntnissinn haben, der mit
den Glaubensaussagen in unlösbarem Widerspruch steht.
Es ist nur im Concreten zu prüfen, wo jeweils die Grenze liegt zwischen der Wahr-
heit von Bildern als Schematen von Ideen und als Symbolen der Transcendenz einer-
seits und der Falschheit von Bildern als Inhalten von Aberglauben andrerseits.
Ein Beispiel ist die Weise des Staatsbewusstseins. Die Realität des Staates ist nur da-
durch, dass Menschen sich für ihn einsetzen, und zwar unbedingt nach dem Satz: sa-
lus rei publicae suprema lex.223 Menschen wissen sich in seinem Dienste, wie jener
preussische Minister aus der Zeit der Freiheitskriege, der auf dem Sterbebett die Frage:
woran denken Sie, beantwortete mit seinem letzten Wort: an den Staat.224 Was ist die-
ses, der Staat, wofür, worin, aus dem so gedacht, gelebt und gehandelt wird?
Die positivistische Forschung antwortet: nichts Reales, sondern eine Mannigfaltig-
keit von Beziehungen, die in ihrer sociologischen und historischen Realität festzustel-
len und in ihren Ursachen zu untersuchen sind. Die Überzeugung eines wirklich im
Staat lebenden Menschen antwortet: der Staat ist Idee und Aufgabe, sein Dienst ge-
horcht einem Umgreifenden. Es ist in der Tat ein Sprung zwischen positivistischer Auf-
lösung für die Erkenntnis und geistiger Erhellung der Idee für die Überzeugung.
Aber die Verirrung entsteht erst, wenn die Idee nicht mehr als solche hell wird im
Tun und Denken, nicht mehr ihr Wesen in ihrer Verwirklichung unter Bescheidung
auf ihren Sinn findet, sondern zur Substanz unbedingten und leibhaftigen Daseins
wird. Der Staat wird ein numen, der irdische Gott, das reale Ganze, das aus sich lebt,
dessen Mysterium ich mich hingebe, ein Seiendes an sich.
Die positivistische Forschung sieht im faktischen Staat in historischen Wandlun-
gen die Naturbedingungen, die Situationen, die jeweiligen Chancen für die Erwartun-
gen und Beseelungen der einzelnen darin lebenden Menschen. Sie stellt auch fest, wo
Menschen glauben, sich einsetzen, aber das sind für sie unbegreifliche Gegebenhei-
ten, von denen sie ausgeht (oder die sie, sich selber täuschend, allgemein entlarvt als
Selbsttäuschungen von Menschen, die ihre Antriebe und Bedürfnisse umsetzen und
missverstehen). Die Teilnahme an den Ideen erhellt deren Sinn, umkreist sie, entwirft
Schemata, und steigert die Überzeugung des in ihnen Lebenden. Es ist ein im positivi-

glauben. im Ms. Vdg. für glauben, z.B.: Rasse ist keine Sache des Wissens, sondern des Glaubens.
 
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