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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0309
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306

Grundsätze des Philosophierens

Die Einsicht in die allgemeinen Ordnungen allen Geschehens darf nicht verwech-
selt werden mit der Anschauung einer ewig bestehenden, in sich vollendeten Weltord-
nung. Jene Einsicht ist richtig, diese Anschauung ist falsch. Das Totale ist eine jewei-
lige Ordnung des Ganzen, eine geschichtliche Substanz.
Jederzeit übersetzen wir unsere geschichtliche Ordnung in Gebilde unseres Bewusst-
seins überhaupt. So wird uns die Substanz, aus der wir jeweils leben, zugänglich als ein
Allgemeines. Dieses Hellwerden steigert die Gegenwärtigkeit der Substanz, aber es hat
zwei Folgen, die schliesslich in die Irre führen. Erstens: Im Objektivgewordensein als ei-
nem rational Allgemeingiltigen ist die Ordnung trotz ihres vermeintlich einsehbaren
Zwanges substantiell garnicht mehr zwingend. Sie wird im Rationalen starr, wird zu-
gleich doktrinär und leer, macht das Verhalten fanatisch und unritterlich. Denn der so
Denkende hält sich an tote Gerüste, lebt nicht mehr aus der geschichtlichen substanti-
ellen Ordnung selber. - Zweitens: Die rational ausgesprochenen substantiellen Ordnun-
gen sind vielfach und unvereinbar. Sie liegen in dem Medium einer durchgehenden uni-
versalen Ordnung des Bewusstseins überhaupt und des ihm zwingend Zugänglichen als
die Vielfachheit des Historischen, das einmal gelebt und geglaubt werden konnte, aber
in seiner Objektivierung relativ ist. Die universalen Ordnungen sind das Unumgängli-
che, das immer ist, die geschichtliche Ordnung ist das jeweils Substantielle. Dieses ist für
die objektivierende Betrachtung eingebettet in den Strom des Werdens, in geschichtli-
cher Existenz dagegen gilt es unbedingt. Eine substantielle Ordnung des Ganzen der
Menschheit als eine eine und einzige ist die Idee des Umgreifenden, dessen Ordnung
schlechthin unzugänglich ist, vielmehr Ordnung und das, was uns vernichtende Un-
ordnung ist, in einem enthält. Auf sie zu blicken, öffnet uns die Transcendenz, nicht das
Ganze der menschlichen Dinge. Irrend gebe ich die geschichtliche Substanz unbeding-
ter Ordnung preis, weil sie in rationaler Objektivierung relativ wird; ich falle in das Bo-
denlose des Universalen. Irrend glaube ich eine einzige bestehende Weltordnung zu fas-
sen, weil meine geschichtliche Ordnung mir unbedingt ist; ich versperre mir den Bezug
auf Transcendenz durch Vergötzung eines Objektiven3.
Eine universale Partikularität ist auch das Gebiet innerhalb des Politischen, das aus-
gesondert bestimmte Notwendigkeiten erkennen lässt, etwa solche, welche Kautilya
und Macchiavelli zum Teil übereinstimmend erfassen.226 Hier werden die Daseins-
grundlagen bestimmt, aber so, dass sie jeweils ermöglichen, was über die Absicht ir-
gendeines der politisch handelnden Menschen hinausliegt, und so, dass eine Vollen-
dung und ein Dauerzustand unmöglich sind. Politik ist eine Arbeit am Unvollendbaren
der Daseinsgrundlagen. Im Politischen ist das Ganze der menschlichen Ordnungen
nicht zu erwarten und nicht das Endziel.

Objektiven nach der Abschrift Gertrud Jaspers statt objektiven im Ms.
 
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