Grundsätze des Philosophierens
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alle Menschen verbindenden Weltreich möglich, für das es kein aussen mehr gibt. Der
Weg der Geschichte hat daher eine Richtung von der bedingungslosen Selbstbehaup-
tung vieler zur Totalität der Menschheit, von der Vielheit kämpfender Staaten zum
Weltreich. Es würde sich alles ändern, wenn ein einziges Reich alle umfasste, kein aus-
sen mehr da wäre, aller Kampf unter Bedingungen stände, das Zeitalter der Staaten ab-
gelöst würde durch das Zeitalter des Reichs, das nur eines sein kann.
Auf die Freiheit des Menschen gehen daher zwei Ideen, die selbständig auftreten
und sich schliesslich zu einer verbinden: die Idee der Ordnung als des rechten und
rechtlichen Lebens in Gemeinschaft, und die Idee des Reichs als Vereinigung aller
Menschen in eine einzige umfassende Ordnung. Die Idee führt von der bedingungs-
losen Selbstbehauptung zur Weltordnung.
1. Staatsgedanke und Reichsgedanke: Historisch gibt es mannigfache staatliche Ein-
heitsbildungen, von kleinen Gemeinwesen, die ihrer Idee nach nicht mehr Menschen
umfassen, als in einer Volksversammlung gemeinsam ihre Redner hören können (grie-
chische Polis), bis zu Weltreichen, die den jeweils bekannten Erdraum annähernd ein-
nehmen (das chinesische Reich, die vorderorientalischen Despotien, das römische Im-
perium).
In dieser Mannigfaltigkeit gibt es die entsprechenden Staatstheorien und das ih-
nen zugehörende Ethos. Der tiefste Unterschied zwischen ihnen ist der zwischen
Staatsgedanke und Reichsgedanke. Staaten stehen anderen Staaten gegenüber, ihre al-
les beherrschende Grundrealität ist die Notwendigkeit der Selbstbehauptung nach aus-
sen. Das wirkt sich aus auf alle inneren Einrichtungen nach dem Satze Rankes, die Aus-
senpolitik habe den Primat vor der Innenpolitik.229 Wer irgendwelchen Forderungen
der Innenpolitik zuungunsten der Forderungen der Aussenpolitik nachgeht, richtet
den Staat zugrunde. Das Reich dagegen ist eines. Es gibt kein aussen mehr äusser der
politisch belanglosen Natur. Alle Fragen können sich auf die beste innere Gestaltung
concentrieren. Die Notwendigkeit der Selbstbehauptung nach aussen ist weggefallen.
Das Ethos ist im Staatsgedanken durch die Notwendigkeit der Selbstbehauptung,
also der Aussenpolitik und der Kriege gegeneinander wesentlich unterschieden vom
Ethos im Reichsgedanken. Die soldatische Selbstbehauptung ist zwar ein Grundzug
des Mannes in jeder Not. Wo er kämpfen muss, will er seinen Mann stehen. Aber das,
wofür die Selbstbehauptung stattfindet, und ohne das Menschenmassen schwer in mi-
litärischer Energie zu halten sind, ist in Gemeinschaft ein Sinngedanke. Es ist, wenn
nicht einfach Beute und Herrschaft, eine Idee, entweder eine nationale oder eine reli-
giöse oder eine politische Idee der Staatsform, oft alles dies ineinander, zumeist mit
Inkonsequenzen. Was hier in Zeitaltern kämpfender Staaten unbedingt mit allen Mit-
teln sich durchsetzt als Nation, als Religion, als politische Idee, das bleibt erhalten,
wenn das Reich verwirklicht ist, wird dann aber unter Bedingungen gestellt, also rela-
tiv. Die Selbstbehauptung der Menschen und der Ideen, obgleich ein nie aufhörendes
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alle Menschen verbindenden Weltreich möglich, für das es kein aussen mehr gibt. Der
Weg der Geschichte hat daher eine Richtung von der bedingungslosen Selbstbehaup-
tung vieler zur Totalität der Menschheit, von der Vielheit kämpfender Staaten zum
Weltreich. Es würde sich alles ändern, wenn ein einziges Reich alle umfasste, kein aus-
sen mehr da wäre, aller Kampf unter Bedingungen stände, das Zeitalter der Staaten ab-
gelöst würde durch das Zeitalter des Reichs, das nur eines sein kann.
Auf die Freiheit des Menschen gehen daher zwei Ideen, die selbständig auftreten
und sich schliesslich zu einer verbinden: die Idee der Ordnung als des rechten und
rechtlichen Lebens in Gemeinschaft, und die Idee des Reichs als Vereinigung aller
Menschen in eine einzige umfassende Ordnung. Die Idee führt von der bedingungs-
losen Selbstbehauptung zur Weltordnung.
1. Staatsgedanke und Reichsgedanke: Historisch gibt es mannigfache staatliche Ein-
heitsbildungen, von kleinen Gemeinwesen, die ihrer Idee nach nicht mehr Menschen
umfassen, als in einer Volksversammlung gemeinsam ihre Redner hören können (grie-
chische Polis), bis zu Weltreichen, die den jeweils bekannten Erdraum annähernd ein-
nehmen (das chinesische Reich, die vorderorientalischen Despotien, das römische Im-
perium).
In dieser Mannigfaltigkeit gibt es die entsprechenden Staatstheorien und das ih-
nen zugehörende Ethos. Der tiefste Unterschied zwischen ihnen ist der zwischen
Staatsgedanke und Reichsgedanke. Staaten stehen anderen Staaten gegenüber, ihre al-
les beherrschende Grundrealität ist die Notwendigkeit der Selbstbehauptung nach aus-
sen. Das wirkt sich aus auf alle inneren Einrichtungen nach dem Satze Rankes, die Aus-
senpolitik habe den Primat vor der Innenpolitik.229 Wer irgendwelchen Forderungen
der Innenpolitik zuungunsten der Forderungen der Aussenpolitik nachgeht, richtet
den Staat zugrunde. Das Reich dagegen ist eines. Es gibt kein aussen mehr äusser der
politisch belanglosen Natur. Alle Fragen können sich auf die beste innere Gestaltung
concentrieren. Die Notwendigkeit der Selbstbehauptung nach aussen ist weggefallen.
Das Ethos ist im Staatsgedanken durch die Notwendigkeit der Selbstbehauptung,
also der Aussenpolitik und der Kriege gegeneinander wesentlich unterschieden vom
Ethos im Reichsgedanken. Die soldatische Selbstbehauptung ist zwar ein Grundzug
des Mannes in jeder Not. Wo er kämpfen muss, will er seinen Mann stehen. Aber das,
wofür die Selbstbehauptung stattfindet, und ohne das Menschenmassen schwer in mi-
litärischer Energie zu halten sind, ist in Gemeinschaft ein Sinngedanke. Es ist, wenn
nicht einfach Beute und Herrschaft, eine Idee, entweder eine nationale oder eine reli-
giöse oder eine politische Idee der Staatsform, oft alles dies ineinander, zumeist mit
Inkonsequenzen. Was hier in Zeitaltern kämpfender Staaten unbedingt mit allen Mit-
teln sich durchsetzt als Nation, als Religion, als politische Idee, das bleibt erhalten,
wenn das Reich verwirklicht ist, wird dann aber unter Bedingungen gestellt, also rela-
tiv. Die Selbstbehauptung der Menschen und der Ideen, obgleich ein nie aufhörendes