Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0323
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
320

Grundsätze des Philosophierens

zelnen Staaten müssen des Daseinskampfes wegen unter die Bedingungen dieses Kamp-
fes und damit in terroristische Knechtung zwecks Aufbau maximal wirksamer Kriegs-
organisation geraten. Friede und Freiheit hängen zusammen.
Aber das Weltreich, das kommen wird, kann durch Gewalt einer Minderheit ent-
stehen, durch Gewalt geformt werden und in der Tat ein despotisch-terroristisches To-
talimperium statt einer Weltordnung werden. Die Idee kann diese nur als Bundesstaat
sich in Verständigung frei regierender Völker sehen.
Die Menschheit als Idee eines Bundes sich frei regierender Völker hätte eine cen-
trale Instanz, in der jeder Conflikt, bevor er zu gewaltsamem3 Austrag kommen würde,
eine Lösung und Entscheidung fände. Diese Einheit kann kein Bund souveräner Staa-
ten sein, denn jedes Bündnis hat Hintergedanken, führt irgendwann bei Interessen-
konflikten zu Bruch und Krieg. Einheit wäre nur die allen Einzelnen und allen Völkern
Raum schaffende Ordnung einer Herrschaft, die durch Mitwirkung aller zustande
kommt, kontrolliert und revidiert wird. Sie wäre weltlich begrenzt auf Fragen des Da-
seins und liesse alles Geistige frei. Sie beschränkte ihre Aufgaben, beanspruchte zwar
in ihrem Bereich uneingeschränkte Geltung und Zwangsgewalt, aber keine Totalität
der Organisation aller Dinge auf einen Zweck hin.
Diese Idee hat ihre geschichtlichen Voraussetzungen in den Teilverwirklichungen,
die unter ihr geschehen sind, z.B. vor Jahrhunderten in der Schweiz, in Holland, in
England, in den USA. Es war überall verschieden, aber gemeinsam war der Grundsatz
eines Teilverzichts auf Souveränität, des Freilassens des Geistigen und Religiösen, des
Privaten und Menschlichen.
Die Idee des einen Weltreichs, welches alle Menschen im Frieden verbindet, will
Raum schaffen für den eigentlichen Menschen. Es gilt nicht mehr der cynische »sacro
egoismo« von Staaten (von Salandra bejaht),232 nicht mehr der Weg »von der Huma-
nität über die Nationalität zur Bestialität« (von Grillparzer mit Grauen wahrgenom-
men),233 sondern die Idee der Menschenwürde, welche nur inb Freiheit sich verwirkli-
chen kann, die nunmehr nur noch im Weltreich möglich scheint. Alle vorhergehenden
Zusammengehörigkeiten, auch die Völker, sind nichts Letztes, aber bleiben unum-
gängliche Mittelglieder im Aufbau des Ganzen.
Die Gefahr ist ständig, wie doch wieder die Gewalt dazwischen kommt, sei es gra-
dezu, sei es durch Betrug. Die Ordnung fordert eine Einschränkung der Selbstbehaup-
tung durch Bedingungen, die ihr ein Maass setzen. Wo Selbstbehauptung als unbe-
dingte durchschlägt, ist die Gesamtordnung aufgehoben und der Krieg wieder da.
Solcher Durchbruch bleibt ständig möglich, dafür ist Kennzeichen das Dasein der Po-
lizei, die ihn verhindern und vernichten soll. Keine Weltordnung wird sie entbehren

a statt gewaltsamem im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers gewaltsamen
b nach in im Ms. gestr. bürgerlicher
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften