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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0326
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Grundsätze des Philosophierens

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senantriebe, die Wertschätzungen seitens der Massen, die Vorstellungen, die sie sich
von den Dingen machen, sind für den Gang der Geschichte entscheidende Realitäten
geworden. Der politische Kampf muss sich in der Communication der Massen selber
und der in ihnen wirksamen Kräfte, Interessen, Principien vollziehen. Zwar ist heute
wie immer eine mehr oder weniger grosse Schicht politischer >Elite< notwendig, von
der die Führung ausgeht. Aber diese Elite selber wird, während sie die Massen führt,
aus den Massen geboren. Die geistige und die daraus hervorgehende politische Bewe-
gung der Weltgeschichte wird mehr als je in der Arbeit an den Vorstellungen und Zie-
len der Massen geschehen, an der Einfachheit, Klarheit und Wahrheit dieser Vorstel-
lungen. Zunächst ist in der Einschmelzung durch die technische Grossorganisation
eine Beschränkung der Leistung und des Wissens auf das technisch Notwendige mit
der Verwirrung in allem anderen verbunden. Eine Unklarheit der Fronten geistigen
Kampfes234 ist die Folge der Primitivität bis zur Verschleierung der Klarheit der ewigen
Gegensätze von gut und böse. Mit der technischen Organisation ist die Zukunft der
Menschheit mehr als je auf Wissen und Erkennen gestellt und auf die durch diese erst
sich herausbildende Klarheit des Charakters. Der Gang der Dinge liegt an der Situation
des Wissens überhaupt, das erreicht und erreichbar ist, und dann an der Verteilung
dieses Wissens auf einzelne3, auf wenige, auf viele und auf alle. Gerade infolge der Tech-
nik ist ein Ziel die grösste Weite, Einfachheit, Klarheit wahren Wissens.
5. Bewegung oder Erstarrung im Weltreich: Wenn der Kampf sich selbst behaup-
tender souveräner Staaten seinen Abschluss findet im Weltreich, so ist die Frage, was
aus der Menschheit im Weltreich wird. Gibt es einen Endzustand gesicherter und rich-
tiger Ordnung? Gibt es darin ein neues Leben in Spannung und Kampf, eine Dynamik,
in der das Leben sich weiter verwandelt?
Man kann mit Sorge auf ein kommendes Weltreich blicken. Nivellierung und Tech-
nisierung, Seelenlosigkeit und allgemeines gedankenloses Sklaventum in einer unge-
heuren Weltfabrik und ihrer Maschinerie scheinen zu drohen. Der Blick auf die Ge-
schichte lässt alle bisherigen Weltreiche in fragwürdigem Lichte erscheinen. Zwar
haben sie alle den Glanz des zunächst durch sie gebrachten Friedens, der allumfassen-
den Ordnung, der Grösse und relativen Dauer. Aber sie alle zeigen eine fortschreitende
Verarmung an geistigen Gehalten, eine technische Massenhaftigkeit, ein Absinken der
persönlichen, menschlichen Höhe. Gegen sie stehen für die historische Erinnerung
höchst vorteilhaft da die unruhigen, ungeordneten Zeitalter, die Zeiten der kämpfen-
den Staaten, diese Welten, in denen ein Drang nach Reform, nach endlicher Ordnung
wächst, und das Bewusstsein des Unmöglichen dieser Zustände herrscht und die Mei-
nung aller, es müsse anders werden. Der Krieg selber erscheint nicht nur als Unheil,
sondern auch als der wünschenswerte »Beweger des Menschengeschicks«.235

statt einzelne im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers einzelnes
 
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