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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0328
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Grundsätze des Philosophierens

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Dass das kommende Weltreich der Erde den Weg finde eines Lebens in produkti-
ven Spannungen, ist die politische Schicksalsfrage der Weltgeschichte. Die Idee for-
dert: nicht Despotie, sondern Verwaltung in Freiheit mit einander ihren Willen fin-
dender Menschen; nicht Erstarrung in Maschinerien, sondern Aufstieg zu neuen
Möglichkeiten in neuen Situationen des Daseins und des Geistes; nicht Abschluss end-
gültiger Ordnung, sondern Verwandlung ins Unabsehbare.
Vielleicht aber ist die Idee eines geordneten Weltreichs nur Angabe eines Weges,
der einmal vorübergehend am Ziel zu sein scheint, in der Tat jedoch dann vor die Al-
ternative führt: entweder ein Kirchhoffrieden mit Absinken des Menschseins oder Zer-
brechen der erreichten Weltordnung und Freilassung der Menschen zu neuen Krie-
gen, wenn gegen die schlecht gewordene Gewalt Gewalt sich auflehnt und alles wieder
unvoraussehbar von neuem beginnen muss.
Die Idee ist nur ein Moment in der faktischen Gestaltung der Dinge. Sie hat nicht
nur Widerstände vor sich, in deren Überwindung sie sich verwirklicht, sondern Gren-
zen, an denen ihre Verwirklichung scheitert.
cc. Reinigung der Idee der Daseinsordnung
Dass der Staat die Daseinsordnung stiftet und erhält, und dass das Weltreich als Ziel diese
Daseinsordnung hat, bedeutet, dass in Staat und Weltreich nicht das Endziel des Mensch-
seins liegt. Die reine Idee der Daseinsordnung ist zugleich grossartig und bescheiden, -
grossartig durch die Schwere der Aufgabe und die ausserordentlichen Folgen der Weise
ihres Gelingens oder Misslingens, denn sie sind die Bedingungen alles anderen, was der
Mensch sein und hervorbringen kann, - bescheiden durch den notwendigen Verzicht
auf das, was diese Idee nicht leisten kann, nämlich das Menschsein selber in seiner Ar-
tung hervorzubringen, geistige Gehalte zu schaffen. Alles, was dem Menschen eigentlich
wesentlich ist, muss aus anderen Quellen kommen als aus Staat und Weltordnung.
In der bisherigen Geschichte ist durchweg im Staat zugleich ein anderes, tieferes
Sein ergriffen. Gemeinschaften leben unter Berufung auf ein Wesen, das sie stiftet: den
Stamm der Blutsverwandten, die Heimat, die Nation, Gott. Die Einheit solcher Ge-
meinschaften versteht sich entweder als eine je besondere, die nur diese neben ande-
ren sein will in einer Völkerfamilie, in der nur unter Verletzung der gleichen Rechte
und der gemeinsamen Grundsätze Krieg geführt wird, weil ein Glied bösen Willen hat,
über andere herrschen will, daher angreift. Oder die Einheit versteht sich gerade aus
dem als letzten Sinn des Menschen bejahten Machtwillen heraus; der Staat, jeder Staat
drängt mit dem Pathos seines einzigen Rechts auf ständige Erweiterung, hat als Auf-
gabe die Weltherrschaft. Oder die Einheit versteht sich als universale, von Gott gestif-
tete, die sich verwirklicht aus der verborgenen Bereitschaft aller Völker, die sich der ei-
nen offenbarten Wahrheit eines Tages öffnen werden.
 
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