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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0351
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348

Grundsätze des Philosophierens

das ist viel häufiger geschehen, die Ungleichheit als eine absolute anerkannt, gestei-
gert in dem Glauben an den göttlichen Herrscher, der, wesensverschieden von allen
anderen Menschen, von allen Gesetzen befreit den Staat lenkt, oder in dem Glauben
an absolute Kasten- und Rassenunterschiede.
Eine endgiltige Lösung der Antinomie ist nicht möglich. Vielmehr ist in der Anti-
nomie der Weg des Aufbaus menschlicher Möglichkeiten zu suchen. Dazu ist erfordert
erstens die Verwerfung jener schlechthin unwahren extremen Positionen und die An-
erkennung der Idee der Gerechtigkeit; zweitens unablässige Arbeit an den Formen, die
so verschiedene Wesens- und Willensrichtungen der Menschen in Beziehung zu ein-
ander und jeweils zu einer Einheit des Willens kommen lassen.
Erstens: Verwerfung der extremen Positionen: Ein absoluter Herrscher ist in Wahr-
heit nicht möglich. Jeder Mensch, auch der beste, bleibt ein endlicher Mensch, mit
seinen Mängeln, Fehlern und Gefahren. Der Mensch ist nach Kant ein Tier, das einen
Herrn nötig hat. Aber auch der herrschende Mensch ist ein Mensch und hat einen
Herrn nötig.252
Daher ist eine Beschränkung und Kontrolle der Willkür jedes Menschen und auch
des Herrschenden notwendig. Diese Kontrolle kann stattfinden geistig durch öffent-
liche Diskussion aller Angelegenheiten, persönlich durch ein Bild der für einen herr-
schenden Menschen erforderlichen Eigenschaften (z.B. gehört zu einem solchen Men-
schen - nach Kant - der Besitz der richtigen Begriffe von der Natur einer möglichen
Verfassung, ferner eine »grosse in vielen Weltläufen geübte Erfahrenheit«, und vor al-
lem ein »zur Annehmung der Begriffe und Erfahrungen vorbereiteter guter Wille«),253
staatlich-politisch durch hemmende und beaufsichtigende Einrichtungen. Diese Kon-
trollen selber sind des Irrtums und der Entartung fähig. Denn alles bleibt menschlich.
Da Herrschaft sein muss, ist es notwendig, dass der Mensch - unter Wahrung sei-
ner inneren Selbständigkeit - anerkennt, was der unter Kontrolle stehende Wille des
Herrschers von ihm verlangt und was die Gesetze gebieten. Gehorsam in Treue zum
herrschenden Menschen, der Vertrauen erworben hat, ist so wahr und notwendig, wie
Gehorsam gegen die Gesetze des Staates, dem ich angehöre.
Unwahr dagegen ist sowohl das Ressentiment gegen alles Herrschende, wie die
Menschenvergötterung, welche im Herrscher mehr sieht als sonst Menschen sind. Bei-
des ist im Durchschnitt menschlicher Neigungen angelegt; es hängt in den Extremen
derart zusammen, dass eines ins andere umschlägt: der Hass gegen jeden Oberen (aus
Willkür des eigenen Beliebens, das sich nicht beschränken lassen will) und der Drang,
sich zu unterwerfen (die Freiheit preiszugeben, um leichter leben zu können).
Die Idee der Gerechtigkeit fordert, dass in der Hierarchie der Über- und Unterord-
nungen die Stufenfolge der Menschen ihrem tatsächlichen Wertunterschied entspre-
che. Das ist nur in eingeschränktem Maasse der Fall. Die Zufälle der Auswahl scheinen
nur selten die Hervorragendsten nach oben zu treiben. Bei schärfster Ausmerzung
 
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