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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0357
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354

Grundsätze des Philosophierens

zirken. Der Mensch will durch den Staat sein Dasein behaupten und schützen, aber zu-
gleich auch im Staat gegen den Staat, der sich verabsolutieren möchte. Die Berufung
zwar zu Herrschaft und Verwaltung ist eine besondere, die Leistung für den Staat eine
specifische Berufsleistung von Beamten. Diese Leistungen haben ihren Wert durch das,
was in dem beherrschten und verwalteten Garten wächst.256 Aber es ist nicht möglich,
dass der Staat den rechten Weg geht, wenn nicht an entscheidenden Punkten alle teil-
nehmen am Staatswillen. Die Gleichgiltigkeit gegen den Staat im Bedürfnis, nur irgend-
wie regiert zu werden, und in der Erwartung, gut regiert zu werden, ist die Quelle der
Staatsentartung zu Despotien auf Grund turbulenter, unwissender Unzufriedenheit der
Menge. Der Staat, der an sich nur Voraussetzung, nicht Endziel ist, muss von allen Bür-
gern als ihre eigene Angelegenheit angesehen werden derart, dass sie ständig informiert
sind, um zuletzt an Wendepunkten eine Entscheidung über den Gang der Dinge mitzu-
vollziehen. Staatsfreies Leben wird nur möglich durch Teilnahme aller am Staat.
Zweitens: Die alle vereinigende Ordnung beschränkt sich auf das, was im Bewusst-
sein überhaupt als zweckmässig, richtig und allgemeingiltig begriffen und jedermann
identisch zugänglich ist. Hier ist fortschreitende Erkenntnis dessen möglich, was alle
und jederzeit anerkennen können und müssen.
Aber das Umgreifende des Daseins oder des Geistes oder der Existenz ist nie auf einen
einzigen Nenner zu bringen. Hier, wo die Substanz des Menschen ist, ist sie in ihrer ob-
jektiven Erscheinung vereinzelt und vielfach. Daher bleibt die äussere Einheit aller im
Ganzen immer nur der Weg zur Einheit. Dieser Weg fordert Offenheit, eines jeden für
die anderen, fordert Geltenlassen heterogenen Ursprungs der Existenz in der Erschei-
nung des Bewusstseins, fordert Anerkennen des Fremden. Ordnung beschränkt sich auf
Voraussetzungen und auf Formen des Sich anerkennens. Es kommt darauf an, wie in der
Ordnung die Spannung ist und die notwendigen Kämpfe vollzogen werden. Die Ord-
nung stellt den Kampf unter bewusste Formen und Gesetze, hebt auf den brutalen3
Kampf mit allen Mitteln. Sie hebt nicht auf den ganzen Einsatz, das Opfer, die Lebens-
gefahr. -
Beides, die Beschränkung auf die Daseinsvoraussetzungen und die bleibende Viel-
fachheit von Dasein, Geist, Existenz, macht die immanente Weltvollendung in einer
endgiltigen Weltordnung unmöglich. Es ist eine Torheit, als Endziel zu verabsolutieren,
was in der Tat nur Bedingung ist, und an eine immanente Weltvollendung zu glauben,
wo es sich um stets sich verwandelnde Formen der gemeinsamen Daseinsvoraussetzun-
gen handelt. Die verabsolutierte Totalität des Staates beschränkt den Sinn, lähmt die
Bereitschaft des Menschen, aus seinem Grunde offen zu sein für alles, was Sein ist.
Mannigfach sind die Anschauungen, welche einer Idee der Weltvollendung Gestalt
geben: der Glaube an ein zu erreichendes, irdisches Paradies, an die richtige, endgil-

nach brutalen im Ms. gestr., totalen
 
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