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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0360
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Grundsätze des Philosophierens

357

Zu den Naturgrundlagen gehört auch die Fortpflanzung der Menschen. Die wech-
selnde Fortpflanzungshöhe der Bevölkerungen entscheidet langsam, still und unmerk-
lich das gesamte spätere Leben, nämlich welche naturgegebene Art von Menschen in
Masse leben werden. Bei einem Weltreich3 ist die Frage, ob die Idee, die das Gemein-
wohl aller bewirken soll, nicht doch in der Tat Teilen dient und andere ungerecht schä-
digt, weil das Fortpflanzungstempo verschiedener Menschengruppen sehr verschie-
den ist. Soll die Freiheit der Fortpflanzung zur stillen Vernichtung aller derer führen,
die nicht der Massenfortpflanzung folgen? Setzt die Einigung aller nicht zugleich Re-
gelung und damit Beschränkung der Fortpflanzung voraus?
Wir fassen zusammen: Die Natur äusser dem Menschen und im Menschen selber
verhindert eine störungsfreie bestehende Ordnung. Eine endgiltige Ordnung ist un-
möglich, weil durch die Natur als solche immer Verwandlungen geschehen, die zu
neuen Situationen und damit zu neuen Aufgaben führen: Bevölkerungsverschiebun-
gen, Raummangel, Verbrauch der begrenzten Rohstoffe, Erschöpfung von nicht mehr
zu ersetzenden Energiequellen, Verwandlung der Naturgrundlagen des Menschseins;
denn eine Grenze menschlicher Möglichkeiten liegt, ohne das[s] sie bestimmt fassbar
wäre, in den biologischen Grundlagen seines Daseins.
Alle diese Grenzen werden wohl der Planung und Veränderung zugänglich, aber
sie werden dann nur hinausgeschoben und treten in neuer Gestalt sogleich wieder auf.
2. Grundeigenschaften des Menschen: Was der Mensch sei und woran als unüber-
windliche Grenze im Charakter des Menschseins alle politische Verwirklichung stosse,
ist seit Jahrtausenden - in China, Indien und dem Abendland - gefragt, oft beantwor-
tet worden und ist doch in irgendeinem entscheidenden Punkte nicht endgültig zu
wissen. Ein Bild der Menschenartung ist in jeder Gestalt fragwürdig. Denn jedes fixie-
rende Wissen schliesst die Möglichkeit der Verwandlung des Menschen aus seiner ei-
genen Freiheit aus, die doch gerade ein Grundzug seines Wesens ist. Der Mensch ist
nicht als Gegenstand der Forschung zu erschöpfen. Er ist mehr, als er von sich weiss
und wissen kann. Er ist gegenüber allem objektiv wissbar Gewordenen das Umgrei-
fende, das er als Dasein, Bewusstsein überhaupt, Geist ist. Er ist als Umgreifendes die
unabsehbare Möglichkeit seiner selbst.
Trotzdem arbeiten wir ständig mit Grundauffassungen vom Menschen und zwei-
feln nicht, dass jeweils in seinen Grundeigenschaften Bedingungen und Grenzen al-
ler politischen Gestaltung liegen. Da aber keine endgültig richtige Grundauffassung
möglich ist, ist die faktische Grundauffassung eine Verantwortung dessen, der sie voll-
zieht, und selber ein Faktor des Geschehens. Denn sie bedingt die Weise des Umgangs
mit mir selbst und den anderen, meine Erwartungen, mein Vertrauen und Misstrauen.

einem Weltreich im Ms. hs. Vdg. für einer Weltunion
 
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