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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0363
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3öo

Grundsätze des Philosophierens

Dagegen in der Freundschaft, in der Ehe, im geistigen Schaffen ist Machtwirken ver-
derblich. Der Mensch muss Macht wollen, um überhaupt zu leben; er muss seinen
Machtwillen suspendieren, um zu seinem eigentlichen Sein zu kommen. Erst ein sol-
cher Mensch ist ganz Mensch, der nicht mehr die Peitsche des Willens zur Macht fühlt,
sondern nur im Bereich des Notwendigen Macht der Sache wegen ergreift und ausübt.
Nun ist aber eine Tatsache, dass fast alle Herrscher, Staatsmänner, Feldherr[e]n von
einem unersättlichen Machtwillen besessen sind (obschon alle Menschen diesen Sta-
chel in sich tragen und hier nur gesteigert ist, was allen zukommt). Es ist[,] als ob die
Energie ihres Handelns ohne diese Leidenschaft nicht durchhalten könnte, zumal im
Kampfe mit anderen, die dieser Leidenschaft gehorchen. Wohl ist Plato’s Idee vom
echten Herrscher entworfen: Sie begehren die Macht nicht, sind unwillig[,] sie zu er-
greifen, aber übernehmen sie aus Pflicht, jeder für eine Zeit.258 Wohl gibt es vereinzelt
solche Menschen, die nicht um die Macht kämpfen, sondern sich rufen lassen (jedoch
nicht gerufen werden) und die im Besitze der Macht keinen Genuss an der Macht emp-
finden. Aber sie sind in der Tat so gut wie niemals die Täter, die den Gang der mensch-
lichen Dinge im äusseren und grundlegenden der Machtverhältnisse bestimmen.259
Wenn ein Bild des Menschen zur Vergegenwärtigung der Grenzen bei der Verwirk-
lichung der Idee der Weltordnung gesucht wird, so müssen elementare Natureigen-
schaften des Menschen im Vordergrund stehen. Der Mensch ist in seiner Naturanlage
in unermesslichen Zeiten, wir wissen nicht wie und woher, gezüchtet worden. Es lie-
gen aus unergründlicher Vorzeit her im Menschen Charaktereigenschaften, Antriebe,
unbemerkte Geläufigkeiten, die zwar sich verbergen können, aber doch ständig wir-
ken und bei Gelegenheit allbeherrschend hervortreten: die Antriebe unersättlichen
Machtwillens, die Triebe der Sexualität und ihrer Umgestaltungen, die Lust der Grau-
samkeit, Neid und Eifersucht. Der Mensch ist eine Bestie, auch wenn er in Schranken
gehalten wird.
In der Realität der Geschichte wird diese Grundlage äusserlich geformt durch In-
teressen, welche andere Interessen bändigen [,] und durch Gewalt, die Menschen über
Menschen gewinnen. Nur das Ungeheuerste aber konnte die Menschen zu innerlicher
Formung zwingen, nicht schon die Angst vor der überlegenen Gewalt ihm gleicharti-
ger Menschen, sondern erst die Todesangst vor Tabuwirkungen, vor Dämonen und
ewigen Höllenstrafen.
Die Naturanlage des Menschen ist befragt worden, ob sie gut oder böse sei. Beide Ant-
worten sind gegeben. Die einen lehrten, der Mensch sei von Natur gut. Erst etwas Künst-
liches, die Civilisation, Eigentum und Kampf haben ihn böse gemacht. Dass der Mensch
gut sei, zeigt sich darin, dass alle Menschen Mitleid haben, Scham kennen, für Wahrheit
einen Sinn haben. Moralische Verschiedenheit kommt durch äussere Zustände.
Andere lehrten, der Mensch sei von Natur böse. Wenn er gut wird, so geschieht das
durch Zucht und Zwang, die seine böse Anlage zurückdrängen, aber so, dass das Böse
 
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