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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0392
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Grundsätze des Philosophierens

389

Sofern Autorität aus der geschichtlichen Tiefe kommt, wirke ich an der Zukunft
durch die Weise, wie ich die Vergangenheit erinnere, aber nicht die Vergangenheit der
vielen wissbaren Realitäten, sondern die Autorität der Vergangenheit im Ganzen als die
Gestalt, in der ich des Ewigen inne werde. So wird die Vergangenheit gegenwärtig in der
Vorstellung von mythischen Ereignissen, von Theogonien und Kosmogonien, von der
Offenbarung Gottes durch die Propheten und Christus, von geschichtsphilosophischen
Totalanschauungen eines sinnvollen Processes. Aber die Autorität aus dem Ganzen des
Geschehens ist ebenso sehr wie durch geschichtliche Erinnerung durch Zukunftserwar-
tung gegenwärtig. Weil es sich um das Ewige handelt, kann ich es statt im geschichtli-
chen Grunde auch als Zukunft vorstellen. Denn jene Vergangenheit ist in ihrem Gehalt
die Zukunft selber. In der Weltschöpfung liegt das Ende aller Dinge. Ich gehe auf das zu,
woher ich komme. Die Zukunft wird vorgestellt als Kreislauf der ewigen Wiederkehr,
oder als Kommen Gottes, das Endreich, das Endgericht, die ewige Seligkeit nach dem
Ende der Welt. In dem geschichtlichen Zusammenhang des geistigen Lebens wird die
eine oder andere Vorstellung die bevorzugte Form des Gegebenseins des Ewigen, durch
das die Autorität in der Welt Grund, Sinn und Ziel hat. Aber der schwebende Charakter
dieser Deutungen wird um so klarer, wenn keine jener Vorstellungen ganz verschwin-
det, keine zur gegenständlich richtigen, absoluten wird. Wo das letztere geschieht, geht
die Wahrheit des Ewigen verloren an die Zeit und den Aberglauben.
ee. Autorität ist geschichtlich und daher nicht allgemeingiltig: Die unbedingte3
Geltung der Autorität in ihrer Geschichtlichkeit bedeutet, dass sie nicht allgemeingil-
tig für alle Menschen und für alle Zeiten ist. Daher kann alle bestimmte Autorität - ih-
rer Form wie ihrem Inhalt nach - in der Welt nur für die in ihr lebenden Menschen,
nicht schlechthin unbedingt13 sein. Sie kann immer nur Erscheinung in der Situation,
Sprache der Transcendenz für die darin glaubenden Menschen, nicht die Wahrheit des
Umgreifenden schlechthin sein. Wenn daher der Anspruch der Autorität jeweils be-
gründet wird aus einer leibhaftigen Gegenwärtigkeit, so ist diese Begründung nicht
allgemeingiltig für immer und für alle.
Beispiele: Die katholische Kirche: Augustin glaubt nicht zuerst der Bibel, nicht der
Lehre, sondern der Realität der Kirche: ego vero evangelio non crederem, nisi unae ca-
tholicae ecclesiae commoveret auctoritas (ich würde dem Evangelium nicht glauben,
wenn mich nicht die Autorität der einen katholischen Kirche dazu bewegte. Migne
VIII, 176).267
Augustus und der römische princeps: Die Autorität wird durch einen Menschen
begründet. Augustus deutet in seinem Testament den Sinn seiner in der Tat absoluten,
autoritativen Herrschaft als princeps (Übersetzung nach M. Schede und H. Schultz,

a unbedingte im Ms. Vdg. für absolute
b unbedingt im Ms. hs. Vdg. für absolut
 
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