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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0397
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394

Grundsätze des Philosophierens

a. Wissen-wollen, Scheu, Geduld
Das Ethos des politischen Menschen fordert für sich erstens Wissen, zweitens das Mass-
halten in der Scheu, welche an der Grenze den Gehalt der Autorität spürt, drittens die
Geduld in den ständigen Enttäuschungen:
1) Ein grenzenloses Wissenwollen entspringt dem Bewusstsein der Verantwortung.
Was wissenschaftlich erkennbar und was als philosophischer Glaube erhellbar ist, soll
zu der jeweils erreichbaren höchsten Klarheit kommen.
Alle Mittel unterstehen nach ihrer technischen Seite der wissenschaftlichen Er-
kenntnis. Obgleich aber das Maximum an Wissen und technischem Können die beste
Voraussetzung ist, wird doch nie ein vollständiges Wissen erreicht derart, dass das
Ganze des Geschehens übersehbar würde und gelenkt werden könnte, wie eine durch-
schaute Maschinerie. Alle Eingriffe liegen in einem Nichtgekannten, das die Wirkung
der Eingriffe mit bestimmt. Daher bleiben alle Eingriffe auch zugleich noch Versuche,
deren Resultat Erfahrung und Wissen vermehrt.
Alle Mittel unterstehen nach ihrer der Führung bedürftigen Seite dem philosophi-
schen Glauben. Obgleich die durch wissenschaftliche Erkenntnis ergreifbaren Mittel
rational anwendbar sind, sind sie doch in Wahl und Durchführung angewiesen auf
den philosophischen Glauben3. Das im inneren Handeln gegründete Tun des Einzel-
nen trägt die technisch zu handhabenden Einrichtungen. Nur bei solcher Beseelung
aus der Innerlichkeit und der dadurch erhellten Verantwortung wird das sonst nur
Technische lebendig.
Wissen und Glaube vollziehen sich politisch stets in einer konkret bestimmten ge-
schichtlichen Welt. Beobachtung und Information bringen eine Kunde, die im allge-
mein Wissbaren nicht erschöpft ist. Sie fordert, um klar aufgefasst zu werden, Distanz
zu den Dingen und zu sich selbst in der Welt. Eine kühle Sachlichkeit lässt allein das
Augenmass sicher bleiben, Illusionen verschwinden. Eine Leidenschaft, die ständig
dieser Kühle fähig ist, ja sie hervortreibt, ist dem politischen Menschen eigen.
2) Das Grenzbewusstsein führt zur Scheu vor der Grenze und gleichsam zum Ge-
horsam gegen die Grenze. Dieser Gehorsam ist nicht die Passivität eines Nichtkön-
nens, sondern das kraftvolle Masshalten.
Daher dieb Grundhaltung des Versuchens und des Nichtvorwegnehmens in den Wor-
ten: Abwarten und zusehen! um zur rechten Zeit einzugreifen. - Eine Chance geben! um
dem unvorhersehbaren Lebendigen Raum zu schaffen. - Und wenn etwas geschehen ist:
das Beste daraus machen! um es hineinzunehmen in den Aufbau der Dinge.
Eine Scheu des Eingreifens erwächst aus dem Bewusstsein der Gefahr.271 Weil das
Ganze nicht übersehbar, keine Wirkung eindeutig ist, wird der Eingriff zu einem Vor-

a nach Glauben im Ms. gestr., aus dem der Handelnde lebt
b nach die im Ms. gestr. bescheidene
 
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