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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0429
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426

Grundsätze des Philosophierens

Weiter greift der Nihilismus den Gehalt des Gottesglaubens an (unter jeweiliger un-
befragter Voraussetzung der selbstverständlichen Richtigkeit gewisser absoluter Wer-
tungen), zum Beispiel:
Wollte Gott Wahrheit, Güte, Liebe, so hätte er den Menschen und die Welt anders
geschaffen. Also ist Gott entweder nicht allmächtig oder nicht gütig.
Weiter erscheint der Nihilismus in positivistischen Sätzen über die Ordnung des
Menschenlebens unter der Voraussetzung, dass solche Ordnung aus dem Wissen von
empirischen Realitäten zu entwerfen sei, zum Beispiel:
Die geschlechtlichen Beziehungen sollen nach Principien der Hygiene aus der Ziel-
setzung des glücklichen Lebens ohne religiöse und ethische Sinngebungen geregelt
werden (aber weder ist das Glück eindeutig bestimmbar - es ist zudem in jeder Gestalt
brüchig -, noch gelingt solche positivistische Regelung).
In diesen und allen anderen Fällen tritt der Nihilismus, der zunächst noch verbor-
gen ist, zu Tage, wenn die jeweilige unbefragte Voraussetzung (an richtiger empirischer
Erkenntnis, gütigen Wertungen, technischen Machbarkeiten) bewusst und damit hin-
fällig wird. Die Negationen von vermeintlicher Wahrheit her bleiben dann erhalten,
aber dazu wird auch noch das jeweils vorausgesetzte Wahrheitsminimum negiert.
Dann ist der Wirbel da, in dem kein Halt ist, äusser der je gegenwärtigen sinnfremden
Vitalität in ihrer gedankenlosen Unmittelbarkeit; der Mensch ist ausgeliefert dem Me-
chanismus des Naturgeschehens, zu dem die Haltung des Nihilismus sich simplificiert.
b. Wahrheit in jeder der drei Gestalten: Philosophisch besteht die Aufgabe, nicht
nur abzuwehren, sondern zugleich die Wahrheit im Abgewehrten zu rechtfertigen.
In der Dämonologie liegt zu Grunde die Wahrheit der Sprache der Chiffern in der
Welt. Es liegt ein Recht in der Anschauung des sinnlich-unsinnlich Gegenwärtigen,
der Physiognomie der Dinge und Ereignisse, in der Sensibilität für das Unfassliche, das
doch gegenwärtig ist. Die mythologische Denkform birgt Wahrheit in sich, die gerei-
nigt und verwandelt etwas Unüberwindliches hat. Ihr Verlust bedeutet eine Verar-
mung der Seele, eine Entleerung der Welt; der Mensch, der solche Sprache nicht mehr
hört, scheint nur noch im unsinnlich Transcendenten zu liebena. Von daher kann zwar
vielleicht die ausserordentlichste Liebe in der Welt sich nähren und in wunderbarer
Reinheit blühen, ohne alle Verwechslungen. Aber es kann dort auch der Mensch sich
verlieren ins Weltlose, Unmenschliche, Fremde. Obgleich alle Dämonologie unwahr
bleibt, kann und muss für den Menschen doch in den Bildern und Chiffern die Spra-
che Gottes, wenn auch bei objektivierender Aussage unfasslich vieldeutig, fühlbar wer-
den. Es ist nicht nur die Schwäche unserer Endlichkeit[,] sondern auch die Liebe zur

scheint nur noch im unsinnlich Transcendenten zu lieben im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu
scheint nicht mehr lieben zu können. Denn im unsinnlich Transcendenten ist kein Gegenstand
seiner Liebe mehr
 
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