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Grundsätze des Philosophierens
ist eine Spannung in einem gemeinsamen Denkraum. Denn Religion und Philosophie
waren nicht nur einmal im Anfang ungeschieden in ungeklärter, bewusstloser Einheit.
In ihnen ist ein Suchen ihrer Einheit, die in der Zukunft als die wahre wirklich werden
möchte.
Es gehört zu den unauflösbaren, ständig sich neu gestaltenden Fragen des Philoso-
phierens, wie Philosophie sich zur Religion verhalte und verhalten solle, wie sie sie ver-
steht, an ihr Teil hat, sich von ihr abhebt, sie bekämpft und sie rechtfertigt.
Wenn wir diese Aufgabe jetzt von unserem Philosophieren her ergreifen, so gera-
ten wir in eine ständige leise Verwirrung. Wir bekämpfen nicht die Religion, während
wir sie zu bekämpfen scheinen. Wir möchten uns ihrer Wahrheit öffnen, während wir
ihre Erscheinungen, seien diese Abgleitungen oder ihr untrennbar zugehörig, für uns
verwerfen. Wir stehen vor ihr mit der Scheu, die dem Grunde des gesamten Mensch-
seins zukommt, während wir das Recht des Einzelnen vertreten.
Von vornherein bitte ich den Leser, nicht an vorläufigen Formulierungen hängen
zu bleiben, sondern das Ganze zu lesen, in dem diese ihren nur relativen Sinn zeigen.
Wahrheit, so hoffen wir, ist unser einziges Anliegen.
Für unseren Zweck der Klärung und Rechtfertigung des Philosophierens wollen wir
drei Wege gehen: Wir sprechen nacheinander von Religion überhaupt, dann vom
Christusglauben als einer historisch bestimmten Religion des Abendlands, dann von
der biblischen Religion im Ganzen als dem Grunde, in dem eine Reihe abweichender
Religionen und Konfessionen ihren gemeinsamen Ursprung haben.
Die Forderungen der Religion haben einen universalen Charakter. In Abwandlun-
gen kehren sie in allen Kulturen und Zeitaltern wieder. Sie sind vom Philosophieren
her zu beschränken. - Die Forderungen des Christusglaubens sind historisch specifi-
sche. Sie sind in ihrer Besonderheit zu verstehen, um dem Philosophieren seine Frei-
heit von ihnen zu bewahren. - Die Forderungen der biblischen Religion im Ganzen
werden von keiner Gemeinschaft, keiner Institution, keiner Kirche vertreten, sondern
erwachen aus dem breiten geschichtlichen Grunde der gesamten abendländischen
Welt. Sie sind die Forderungen, die sich das Philosophieren, das sich der Religion öff-
net, zu eigen macht.
Eine Schwierigkeit aller dieser Erörterungen wird darin liegen, dass Religion sowe-
nig wie Philosophie ein eindeutiges, sich gleich bleibendes Gebilde ist. Es sind nicht
zwei objektive feste Punkte, die in ihrem Verhältnis zu einander zu betrachten wären.
Wir stehen immer darin und nehmen an der Bewegung auf beiden Seiten teil. Religion
hat sich historisch entwickelt und verwandelt. Sie breitet sich aus von den primitiven
Akten der Schamanen bis zu den geistig sublimen Kulten in der Machtorganisation ei-
ner Kirche, von Magie bis zu reinem Ethos, vom Götzenkult bis zur Anbetung des ei-
nen bildlosen verborgenen Gottes. Es kann fraglich sein, wo schon und wo nicht mehr
Religion sei. Philosophie hat sich durch Jahrtausende entwickelt und verzweigt. Sie
Grundsätze des Philosophierens
ist eine Spannung in einem gemeinsamen Denkraum. Denn Religion und Philosophie
waren nicht nur einmal im Anfang ungeschieden in ungeklärter, bewusstloser Einheit.
In ihnen ist ein Suchen ihrer Einheit, die in der Zukunft als die wahre wirklich werden
möchte.
Es gehört zu den unauflösbaren, ständig sich neu gestaltenden Fragen des Philoso-
phierens, wie Philosophie sich zur Religion verhalte und verhalten solle, wie sie sie ver-
steht, an ihr Teil hat, sich von ihr abhebt, sie bekämpft und sie rechtfertigt.
Wenn wir diese Aufgabe jetzt von unserem Philosophieren her ergreifen, so gera-
ten wir in eine ständige leise Verwirrung. Wir bekämpfen nicht die Religion, während
wir sie zu bekämpfen scheinen. Wir möchten uns ihrer Wahrheit öffnen, während wir
ihre Erscheinungen, seien diese Abgleitungen oder ihr untrennbar zugehörig, für uns
verwerfen. Wir stehen vor ihr mit der Scheu, die dem Grunde des gesamten Mensch-
seins zukommt, während wir das Recht des Einzelnen vertreten.
Von vornherein bitte ich den Leser, nicht an vorläufigen Formulierungen hängen
zu bleiben, sondern das Ganze zu lesen, in dem diese ihren nur relativen Sinn zeigen.
Wahrheit, so hoffen wir, ist unser einziges Anliegen.
Für unseren Zweck der Klärung und Rechtfertigung des Philosophierens wollen wir
drei Wege gehen: Wir sprechen nacheinander von Religion überhaupt, dann vom
Christusglauben als einer historisch bestimmten Religion des Abendlands, dann von
der biblischen Religion im Ganzen als dem Grunde, in dem eine Reihe abweichender
Religionen und Konfessionen ihren gemeinsamen Ursprung haben.
Die Forderungen der Religion haben einen universalen Charakter. In Abwandlun-
gen kehren sie in allen Kulturen und Zeitaltern wieder. Sie sind vom Philosophieren
her zu beschränken. - Die Forderungen des Christusglaubens sind historisch specifi-
sche. Sie sind in ihrer Besonderheit zu verstehen, um dem Philosophieren seine Frei-
heit von ihnen zu bewahren. - Die Forderungen der biblischen Religion im Ganzen
werden von keiner Gemeinschaft, keiner Institution, keiner Kirche vertreten, sondern
erwachen aus dem breiten geschichtlichen Grunde der gesamten abendländischen
Welt. Sie sind die Forderungen, die sich das Philosophieren, das sich der Religion öff-
net, zu eigen macht.
Eine Schwierigkeit aller dieser Erörterungen wird darin liegen, dass Religion sowe-
nig wie Philosophie ein eindeutiges, sich gleich bleibendes Gebilde ist. Es sind nicht
zwei objektive feste Punkte, die in ihrem Verhältnis zu einander zu betrachten wären.
Wir stehen immer darin und nehmen an der Bewegung auf beiden Seiten teil. Religion
hat sich historisch entwickelt und verwandelt. Sie breitet sich aus von den primitiven
Akten der Schamanen bis zu den geistig sublimen Kulten in der Machtorganisation ei-
ner Kirche, von Magie bis zu reinem Ethos, vom Götzenkult bis zur Anbetung des ei-
nen bildlosen verborgenen Gottes. Es kann fraglich sein, wo schon und wo nicht mehr
Religion sei. Philosophie hat sich durch Jahrtausende entwickelt und verzweigt. Sie