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Grundsätze des Philosophierens
scheiden von anderen Mythen wird ein besonderer Mythus als Offenbarung heraus-
gehoben.
Immer gehört zur Religion die reale Beziehung des Menschen zur Transcendenz in
Gestalt eines in der Welt vorkommenden Heiligen als einem von Anderem, Profanen
oder Unheiligen, Abgegrenztem.
Die gesamte Menschheit lebt, soweit historische Erinnerung sieht, religiös.
Philosophie dagegen kennt als solche keinen Kultus, keine priesterlich geführte Ge-
meinschaft, keinen realen Mythus, keine vom anderen Weltdasein ausgenommene
Heiligkeit in der Welt. Ihr kann überall und jederzeit gegenwärtig sein, was die Reli-
gion irgendwo lokalisiert. Sie ist dem Einzelnen erwachsen in freien, sociologisch ir-
relevanten oder garnicht sociologisch realen Beziehungen, ohne Garantie einer Ge-
meinschaft. Philosophie ist ohne Riten, und ohne ursprüngliche reale Mythen. Sie
wird in freier Überlieferung jeweils verwandelnd angeeignet. Sie bleibt, obgleich dem
Menschen als Menschen zugehörig, Sache weniger oder vieler Einzelner.
b. Die Frage nach der Herkunft der Philosophie aus der Religion. - Blicken wir nicht
auf die Form der Religion in Kultus, Gemeinschaft und realem Mythus, sondern auf
die Inhalte dieser Formen, so scheinen bei radikaler Verschiedenheit der Form der Re-
ligion von der der Philosophie die Inhalte häufig nicht nur verwandt, sondern iden-
tisch. Da Philosophie in der Trennung von Religion historisch immer erst später auf-
tritt, so spricht man inbezug auf ihre Inhalte von der Herkunft der Philosophie aus der
Religion, oder auch von der Befreiung der Philosophie aus dem Kleide der Religion.
Der historische Tatbestand ist: Religion ist ursprünglich geschichtliche Wirklichkeit,
die immer schon da ist, wenn Philosophie beginnt, oder: Philosophie ist anfänglich
ungeschieden in der Religion enthalten und geborgen. Philosophie lebt daher, zumal
im Anfang, von religiösen Gehalten, die sie übersetzt, oder die sie reinigt, indem sie
sie ursprünglich erhellt. In der Übersetzung geht das specifisch Religiöse verloren,
bleibt aber der Gehalt - nenne man ihn nun philosophisch oder auch immer noch re-
ligiös -, der aus keinem Verstände gefunden wäre, sondern der geschichtlich gegrün-
deter Tiefe des Menschseins erwächst. So wird bei Plato zum Teil orphische Religion
zur Philosophie, so ist in christlicher Philosophie nicht nur der griechische Gedanke
recipiert, sondern eigener religiöser Ursprung philosophisch geworden.
Die Inhalte, die aus dem Ganzen des Religiösen in die Philosophie übergehen, sind
solche von Antrieben, Handlungen, Gedanken. Einige Beispiele:
aa. Der Gottesgedanke:317 In Pascals Kleid fand sich nach seinem Tode ein Papier
eingenäht, auf dem stand:
Grundsätze des Philosophierens
scheiden von anderen Mythen wird ein besonderer Mythus als Offenbarung heraus-
gehoben.
Immer gehört zur Religion die reale Beziehung des Menschen zur Transcendenz in
Gestalt eines in der Welt vorkommenden Heiligen als einem von Anderem, Profanen
oder Unheiligen, Abgegrenztem.
Die gesamte Menschheit lebt, soweit historische Erinnerung sieht, religiös.
Philosophie dagegen kennt als solche keinen Kultus, keine priesterlich geführte Ge-
meinschaft, keinen realen Mythus, keine vom anderen Weltdasein ausgenommene
Heiligkeit in der Welt. Ihr kann überall und jederzeit gegenwärtig sein, was die Reli-
gion irgendwo lokalisiert. Sie ist dem Einzelnen erwachsen in freien, sociologisch ir-
relevanten oder garnicht sociologisch realen Beziehungen, ohne Garantie einer Ge-
meinschaft. Philosophie ist ohne Riten, und ohne ursprüngliche reale Mythen. Sie
wird in freier Überlieferung jeweils verwandelnd angeeignet. Sie bleibt, obgleich dem
Menschen als Menschen zugehörig, Sache weniger oder vieler Einzelner.
b. Die Frage nach der Herkunft der Philosophie aus der Religion. - Blicken wir nicht
auf die Form der Religion in Kultus, Gemeinschaft und realem Mythus, sondern auf
die Inhalte dieser Formen, so scheinen bei radikaler Verschiedenheit der Form der Re-
ligion von der der Philosophie die Inhalte häufig nicht nur verwandt, sondern iden-
tisch. Da Philosophie in der Trennung von Religion historisch immer erst später auf-
tritt, so spricht man inbezug auf ihre Inhalte von der Herkunft der Philosophie aus der
Religion, oder auch von der Befreiung der Philosophie aus dem Kleide der Religion.
Der historische Tatbestand ist: Religion ist ursprünglich geschichtliche Wirklichkeit,
die immer schon da ist, wenn Philosophie beginnt, oder: Philosophie ist anfänglich
ungeschieden in der Religion enthalten und geborgen. Philosophie lebt daher, zumal
im Anfang, von religiösen Gehalten, die sie übersetzt, oder die sie reinigt, indem sie
sie ursprünglich erhellt. In der Übersetzung geht das specifisch Religiöse verloren,
bleibt aber der Gehalt - nenne man ihn nun philosophisch oder auch immer noch re-
ligiös -, der aus keinem Verstände gefunden wäre, sondern der geschichtlich gegrün-
deter Tiefe des Menschseins erwächst. So wird bei Plato zum Teil orphische Religion
zur Philosophie, so ist in christlicher Philosophie nicht nur der griechische Gedanke
recipiert, sondern eigener religiöser Ursprung philosophisch geworden.
Die Inhalte, die aus dem Ganzen des Religiösen in die Philosophie übergehen, sind
solche von Antrieben, Handlungen, Gedanken. Einige Beispiele:
aa. Der Gottesgedanke:317 In Pascals Kleid fand sich nach seinem Tode ein Papier
eingenäht, auf dem stand: