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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0451
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Grundsätze des Philosophierens

wechseln die vernünftige Gedankenform mit Gebrauch von Widersprüchen und das
Absurde als Gegenstand des sacrificium intellectus.
Der Glaube an das Absurde bedeutet Forderung blinden Gehorsams - faktisch ge-
gen von Menschen gemachte Gebilde des Gedankens bedeutet mit der Preisgabe der
Freiheit Freigabe chaotischen Denkens. Kierkegaard ist, wo er solche Wege geht, eine
Form des Endes und der Vernichtung des Christusglaubens durch die verzweifelte Stei-
gerung dieses Glaubens ins Radikale des Unmöglichen auf Grund des hellsten philo-
sophischen Bewusstseins.
ee. Ausweichende und verkehrende Interpretationen: Die Notwendigkeit der Ver-
wandlung des Mythus ist schon im Altertum fühlbar, erst in der modernen Welt un-
entrinnbar geworden. Ihr wird ausgewichen durch typische Unklarheiten. Im Ausgang
von zunächst richtigen Sätzen wird eine Verschleierung vollzogen, die ein faktisches
Festhalten leibhaftig realer, d.h. abergläubischer Mythen ermöglicht.
Man sagt: es komme nicht auf Wissen an, sondern auf das Heil der Seele. Das klas-
sische Beispiel ist Buddha. Er verlangt, man solle nicht grübeln über theoretische Fra-
gen, die zum Heil nicht notwendig seien, sondern den Weg des Heils gehen.327 Aber
die Voraussetzung wäre doch, dass man diesen Weg wirklich wüsste. Im Buddhismus
wäre es die Frage, ob das Heil (Befreiung vom Leiden) richtig gedacht sei, ob Karman,
die Voraussetzung endlosen Leidens, wirklich sei. Eine Fülle von Metaphysik, die zum
Denken auffordert, liegt schon in dem Heilsgedanken als solchem, den einfach hin-
zunehmen Gedankenlosigkeit ist. Nur im Ganzen einer Seinserhellung kann zurei-
chend klar, begründbar und widerlegbar, werden, was an Heilswegen aufgezeigt wird.
Die einfache Dogmatik der vier buddhistischen Heilswahrheiten setzt Mythen - wie
die Karmanlehre - voraus.328
Man sagt: vor dem Geheimnis solle man sich beugen. Indem aber dieser Satz, der
wahr ist vor den Grenzen der Wissenschaft, vor dem concreten Geschehen, in dem ich
stehe, und durch das ich bin, vor dem Umgreifenden, gebraucht wird, um sich gegen
die Wissensmöglichkeiten zugunsten mythischer Inhalte zu wenden, entsteht eine
Verkehrung. Ein Beispiel ist der Gang der Deutung eines ursprünglich wahren Jesaias-
Wortes. Jesaias (29, 14) lässt Jahwe, weil das Volk sich mit Rede und Kult, aber nicht
mit dem Herzen ihm naht, nur angelerntes Menschengebot befolgt, noch einmal wun-
derbar handeln [,] »dass die Weisheit seiner Weisen vergeht und die Klugheit seiner
Klugen sich verbirgt«. Das wird im 1. Korintherbrief (1, 19) citiert als Wort Gottes[:]
»Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen und den Verstand der Verständi-
gen will ich verwerfen.« Ein moderner Theologe will dieses Wort mehr fürchten als je-
den wissenschaftlichen Einwand gegen seine mythischen Glaubensinhalte.329 Verglei-
chen wir diese drei Positionen. Was dem Jesaias Geheimnis geschichtlicher Ereignisse
als der Taten Gottes ist, vor denen unzureichende Einsicht verstummt und alle klugen
Massnahmen versagen, das wird bei Paulus zur Aktivität Gottes gegen den Verstand,
 
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