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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0458
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Grundsätze des Philosophierens

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noch weitgehend mitwirkend liegt die Leistung in langem Leben, Gesundheit, Reich-
tum und anderen Glücksgütern innerweltlicher Art.
Damit in der Religion dies alles glaubwürdig bleibt, muss die Wahrheit des Glau-
bens, seine Form und die Weise seiner kultischen Verwirklichung als unveränderlich,
von jeher gleich, unumstösslich fest gelten. Daher die peinliche Genauigkeit in Befol-
gung der Riten, heiligen Handlungen, die Behauptung der Unverwandelbarkeit der
Dogmen und Gesetze, das Sichsträuben gegen jede Veränderung in Kultformen, Glau-
benssätzen, Geboten und Verboten. Daher weiter, wenn solche Verwandlungen für das
historische Wissen nicht mehr zu verschleiern sind, die Behauptung vom Wesen und
Princip der kirchlichen Religion, dass sie im Anfang und bis jetzt und für alle Zeit das-
selbe sei: semper idem.
bb. Reifstes Ergebnis: die Kirche: Das vollendetste Ergebnis der Ansprüche der
Masse in Gestaltung der Religion ist die Kirche, wie sie in voller Konsequenz nur in der
christlichen Welt und hier nur als katholische Kirche wirklich geworden ist. Es gibt
keine Massenführung, die so tief in die Seelen, in solche Breite der Völkermassen, in
solcher Dauerhaftigkeit durch die Zeiten gewirkt hat wie die der Kirchen. Es ist ein Irr-
tum oberflächlicher Aufklärung, dass das Unheil der Unfreiheit, das durch die Kirchen
bewirkt sei, aus dem Trug und dem bösen Willen machthungriger Priester zu erklären
sei. Die Realitäten der Kirche sind wesentlich aus Eigenschaften der Seele in der Masse
der Menschen zu begreifen, die solcher Führung bedürfen. Das Bild voma Hirten, der
seine Schafe weidet, trifft die Sache.337
Ich versuche, die Kirche als das Gebilde, das Massenansprüchen im höchsten Maasse
genügetut, zu charakterisieren. Von vornherein ist zu wissen, dass solche Charakteri-
stik nur konstruierend herausholt und vereinfacht. Wie in jeder Kirche und jedem Be-
kenntnis trotz ihrer einseitigen Äusserlichkeiten und historischen Besonderheiten in
den einzelnen Menschen das Ganze des Glaubens gegenwärtig sein kann, so auch in-
nerhalb der Katholischen Kirche. Ich spreche hier nicht von dem, was der Einzelne auch
im Katholicismus an Unmittelbarkeit zu Gott und an philosophischer Erleuchtung er-
fährt. Der Reichtum an mystischen Aufschwüngen und an philosophischer Specula-
tion im Rahmen der Kirche war ausserordentlich. Aber das sind Vollzüge des je Einzel-
nen, denen die Kirche Raum gibt, die aber nicht den kirchlichen Principien entspringen.
Das fromme Leben in der Kirche kann seitens des Einzelnen so geschehen, dass er von
den im Folgenden zu erörternden Tatbeständen und Fragen garnichts bemerkt. Die ka-
tholische Welt enthält unendlich viel mehr als der Katholicismus der Kirche.
Drei in sich zusammenhängende Principien scheinen alles zu beherrschen: Die
Heiligkeit der Kirche, die Totalität des kirchlichen Glaubensgehaltes, der Gehor-
samsanspruch.

nach vom in der Abschrift Gertrud Jaspers gestr. guten
 
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