4Ö2
Grundsätze des Philosophierens
sein könne als der Einzelne. Ein Unbewusstes, real Wirkendes scheint gegen das Be-
wusstsein eines jeden Einzelnen im Bunde mit der Wahrheit stehen zu können. Wol-
len wir dieses aber bestimmt fassen, so entschwindet es uns. Denn begriffen liegt es
schon wieder in der Sphäre des Bewusstseins.
Insbesondere lässt sich fragen nach der Wahrheit der Versinnlichung des Spiritu-
ellen. Für die Masse ist die Versinnlichung unumgänglich. Ist das nur ein Abfall? Ver-
gleichen wir die religiösen und die philosophischen Antriebe: Religion versinnlicht
die Seinsgehalte in Kultakten, Riten, im Gebet, in Bildern, Mythen und Dogmen, in
der Anerkennung einer in der Welt an bestimmtem Ort und zu bestimmter Zeit statt-
gefundenen Gottesoffenbarung. Philosophie dagegen möchte die reine Spiritualisie-
rung gewinnen, derart, dass durch sie in der Realität, aber in aller Realität die eigent-
liche Wirklichkeit ergriffen und gegenwärtig werde.
Beide nun geraten, Religion durch Versinnlichung, Philosophie durch Spirituali-
sierung, in Verkehrungen. Die Religion macht den Aberglauben. Aberglaube liegt im
Gleichsetzen der Transcendenz mit der sinnlichen Erscheinung; im Sichhalten an
sinnliche Realität als Garantie, die in der Welt als Autorität mich stützt; in der Flucht
vor den Grenzsituationen der Weltrealität zu einem Geborgensein in der Suggestion
sinnlich leibhaftiger Greifbarkeit Gottes und seiner Versprechungen. Die Philosophie
aber ermöglicht die Flucht aus der Realität in ein nur Spirituelles, das als solches nicht
Wirklichkeit, sondern Raum aesthetischer Unverbindlichkeit wird, in eine theoreti-
sche Contemplation ohne Rückwirkung in die Realität der geschichtlichen Erschei-
nung der Existenz. Es entsteht ein Leben im Traum unter Versagen in der Realität, ein
Leben im Scheinwissen unter Versäumen realen Wissens, ein Leben im Hochmut, der
in wirkungslosem, weil ohnmächtigem Beurteilen und Bewerten der Menschen und
Dinge sich ereifert.
Gegen diese Verkehrungen von Religion und Philosophie lässt sich die Wahrheit
abstrakt leicht aussprechen: Wahrheit liegt im Ergreifen aller Realität in der Welt als
Chiffernsprache, ohne an ihre Realität zu verfallen; solches Ergreifen bleibt gegründet
in dem Spirituellen, durch das erst die eigentliche Wirklichkeit gegenwärtig ist.
Dieser wahre Weg scheint in Religion und Philosophie möglich. Bleibt die Religion
ohne Täuschung im Sinnlichen als einer vermeintlich realen Transcendenz, d.h. ohne
Aberglaube, dann ist sie auch ohne den eifernden Charakter, ohne den Drang zum
Überreden, Verkünden, zum Aufzwingen dieses Wahrseins, ohne den Anspruch sei-
ner3 allgemeinen Giltigkeit. Bleibt die Philosophie frei von aesthetischer Unverbind-
lichkeit, so wird sie auch allen Hochmut verlieren, wird sie nicht nur Denken, sondern
durch Denken inneres Handeln sein, wird sie nicht nur logisch und sachlich in der
Welt erkennen, sondern für die Transcendenz offen machen.
nach seiner im Ms. gestr. Ausschliesslichkeit und
Grundsätze des Philosophierens
sein könne als der Einzelne. Ein Unbewusstes, real Wirkendes scheint gegen das Be-
wusstsein eines jeden Einzelnen im Bunde mit der Wahrheit stehen zu können. Wol-
len wir dieses aber bestimmt fassen, so entschwindet es uns. Denn begriffen liegt es
schon wieder in der Sphäre des Bewusstseins.
Insbesondere lässt sich fragen nach der Wahrheit der Versinnlichung des Spiritu-
ellen. Für die Masse ist die Versinnlichung unumgänglich. Ist das nur ein Abfall? Ver-
gleichen wir die religiösen und die philosophischen Antriebe: Religion versinnlicht
die Seinsgehalte in Kultakten, Riten, im Gebet, in Bildern, Mythen und Dogmen, in
der Anerkennung einer in der Welt an bestimmtem Ort und zu bestimmter Zeit statt-
gefundenen Gottesoffenbarung. Philosophie dagegen möchte die reine Spiritualisie-
rung gewinnen, derart, dass durch sie in der Realität, aber in aller Realität die eigent-
liche Wirklichkeit ergriffen und gegenwärtig werde.
Beide nun geraten, Religion durch Versinnlichung, Philosophie durch Spirituali-
sierung, in Verkehrungen. Die Religion macht den Aberglauben. Aberglaube liegt im
Gleichsetzen der Transcendenz mit der sinnlichen Erscheinung; im Sichhalten an
sinnliche Realität als Garantie, die in der Welt als Autorität mich stützt; in der Flucht
vor den Grenzsituationen der Weltrealität zu einem Geborgensein in der Suggestion
sinnlich leibhaftiger Greifbarkeit Gottes und seiner Versprechungen. Die Philosophie
aber ermöglicht die Flucht aus der Realität in ein nur Spirituelles, das als solches nicht
Wirklichkeit, sondern Raum aesthetischer Unverbindlichkeit wird, in eine theoreti-
sche Contemplation ohne Rückwirkung in die Realität der geschichtlichen Erschei-
nung der Existenz. Es entsteht ein Leben im Traum unter Versagen in der Realität, ein
Leben im Scheinwissen unter Versäumen realen Wissens, ein Leben im Hochmut, der
in wirkungslosem, weil ohnmächtigem Beurteilen und Bewerten der Menschen und
Dinge sich ereifert.
Gegen diese Verkehrungen von Religion und Philosophie lässt sich die Wahrheit
abstrakt leicht aussprechen: Wahrheit liegt im Ergreifen aller Realität in der Welt als
Chiffernsprache, ohne an ihre Realität zu verfallen; solches Ergreifen bleibt gegründet
in dem Spirituellen, durch das erst die eigentliche Wirklichkeit gegenwärtig ist.
Dieser wahre Weg scheint in Religion und Philosophie möglich. Bleibt die Religion
ohne Täuschung im Sinnlichen als einer vermeintlich realen Transcendenz, d.h. ohne
Aberglaube, dann ist sie auch ohne den eifernden Charakter, ohne den Drang zum
Überreden, Verkünden, zum Aufzwingen dieses Wahrseins, ohne den Anspruch sei-
ner3 allgemeinen Giltigkeit. Bleibt die Philosophie frei von aesthetischer Unverbind-
lichkeit, so wird sie auch allen Hochmut verlieren, wird sie nicht nur Denken, sondern
durch Denken inneres Handeln sein, wird sie nicht nur logisch und sachlich in der
Welt erkennen, sondern für die Transcendenz offen machen.
nach seiner im Ms. gestr. Ausschliesslichkeit und