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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0488
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Grundsätze des Philosophierens

485

Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.391 Das Gut-
handeln wird dem Besitzwillen nahe gebracht durch das Gleichnis vom Schätzesam-
meln im Himmel.392
Die Abwehr des Richtergottes und des zu ihm gehörenden Christusglaubens ist ge-
gen solche Verengung gerichtet, diea den Menschen hässlich macht und der Möglich-
keit seiner nobilitas ingenita beraubt. Die Abwehr will die Wiederherstellung des ei-
gentlichen, offenen und freien Menschen, der aus anderem Ursprung als aus solchen
Lohn- und Strafgedanken ein Vertrauen zu Gott haben darf.
Wollte man das Strafschema sich aufklärerisch näher bringen durch den Gedan-
ken einer unverbrüchlichen Weltordnung, in der den Taten Lohn und Strafe folge, so
ist solche Weltordnung selber nur wieder ein Gleichnis für das undurchdringliche
Ganze. Das Gleichnis wird zum Irrtum, als ob die Weltordnung bestehe oder gar er-
kennbar sei, während es nur relative Ordnungen gibt und jede Ordnung auch durch-
brochen wird.
Trotz allem liegt im Richter-Gnade-Gedanken eine Wahrheit. Es ist eine Form, wie
ich mir den absoluten Ernst verständlich mache. Wenn der schlechthin nicht Glau-
bende von der Strafe in seiner Handlung selbst nichts spürt und eine Strafe als Folge
ihm irreal geworden ist, dann ist für ihn die einzige Rettung, dass er in den Mythus der
Höllenstrafen zurückkehrt, damit er in Form der Realität vor Augen hat, was ihm me-
taphysisch verloren ist. Alles Unheil der Welt, die Greuel von Kriegen, die Seuchen,
der Hunger und die Anarchie reichen - wie Kierkegaard meinte393 - vielleicht nicht aus,
den Menschen, dem der Glaube in jedem Sinne verloren ist, wieder zum Menschen zu
machen. Es kann sein, dass erst der Richtergott und die Höllenstrafen wieder real wer-
den müssen, damit es ihm ernst wird und er auf dem Wege über eineb enge Absurdität
den Aufstieg gewinnt^
3. Unmöglichkeit der Theodicee auf christlicher Grundlage: Wenn Gott der Schöp-
fer der Welt und des Menschen ist, dann ist, wie Welt und Menschen sind, Gottes Ver-
antwortung aufzuerlegen.394 Er hat sie so geschaffen, also so gewollt. Eine Rechtferti-
gung Gottes scheint unmöglich. Er ist entweder nicht allmächtig oder nicht allgütig.
Wenn das Heil durch Christi Opfertod kommt und der Glaube an Christus Bedin-
gung des Heils ist, was wird dann aus den Menschen, an die nie die Verkündigung des
Evangeliums gelangt ist, und aus all denen, die vor Christus lebten, und aus denen, die
das Evangelium hören, aber nicht verstehen? Sie alle sind der Hölle verfallen. Das Chri-
stentum hat eine unmenschliche Consequenz.

a nach die im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. die Wirklichkeit Gottes verschleiert und die
b eine im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu diese
c nach gewinnt im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. aus dem unvergleichlich Absurderen eines glau-
benslosen Nihilismus
 
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