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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0489
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486

Grundsätze des Philosophierens

Gegen diese Einwände gelten die theologischen Sätze vom deus absconditus und
dem decretum horribile.395 Beide sind ein Ausdruck des Verstummens im Nichtwissen.
Der verborgene Gott geht Wege, die wir nicht begreifen. Er legt kraft seines undurch-
dringlichen Entschlusses den Grund der Verlorenheit oder der Rettung jeder einzel-
nen Seele: vor seinem entsetzlichen Entschluss, den wir in keinem Falle kennen, mö-
gen wir erstarren oder in Angst und Zittern, in Demut der Hingabe leben.
Dieses theologisch formulierte Nichtwissen ist charakterisiert als Ende eines theo-
logischen Wissens, das, weil es soviel verspricht, gerade umso schlimmer enttäuscht.
Gegen dieses Nichtwissen steht das nicht minder gehaltvolle philosophische Nicht-
wissen.396
4. Wunder: Wenn alle Religionen in ihrem Glauben irgendwo auf ein Absurdes sich
stützen, so ist nur die Frage, was jeweils dieses Absurde sei. Im Christentum hat es zwei
Gestalten, erstens als Wundera, und zweitens als absurdes Dogma.
Wunder spielen in den Evangelien und in dem Glauben des Christentums eine
grosse Rolle.
Die groben Wunder, wie Krankenheilungen,397 Totenerweckungen,398 Verwandlung
von Wasser in Wein,399 Vermehrung weniger Brote zur Nahrung von Tausenden400 tre-
ten auf als Gegenstand und als Wirkung des Glaubens. Dieser Glaubensbegriff ist nun
dem Sinn jedes philosophischen und philosophisch anzuerkennenden Glaubens fern.
Denn dieser Glaube richtet sich auf Ereignisse in der Weltb. Einige Beispiele:
Dem Vater des Besessenen, der für seinen Sohn Heilung erbittet, wenn es möglich
sei, antwortet Jesus: »Was sagst du: Möglich! Alle Dinge sind möglich dem, der da
glaubt!« Da schrie des Kindes Vater: »Ich glaube, hilf meinem Unglauben!«401
Jesus sprach in der Absicht, den Glauben der Jünger zu stärken: »Wahrlich, ich sage
euch: wenn einer spricht zu diesem Berge: Hebe dich auf und wirf dich ins Meer! und
zweifelt nicht in seinem Herzen, sondern glaubt, dass geschehen wird, was er sagt, so
soll es ihm werden.«402
Als Petrus, auf das Wasser tretend, fürchtete, zu sinken, sagte Jesus: »O du Klein-
gläubiger, warum zweifeltest du?«4°3 Dem Vater, den die Nachricht vom Tode seiner
Tochter trifft, sagt Jesus: Fürchte dich nicht, glaube nur, - und weckt sie vom Tode
auf.4°4
Den von ihrer Krankheit Befreiten wird gesagt: Dein Glaube hat dich gesund ge-
macht.405
Gelegentlich wird in diesen Erzählungen mit der Anerkennung des Glaubens Sün-
denvergebung verbunden. Immer ist in ihnen der Glaube an Jesus die Bedingung des

a nach Wunder im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. wie in allen Religionen
t> nach Welt im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf., die nicht Sache des Glaubens, sondern der Erkenn-
barkeit sind
 
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