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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0497
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Grundsätze des Philosophierens

bb. Der Philosoph sei gottlos: Der Christusgläubige pflegt alle Andersgläubigen für
ungläubig zu halten. Nur sein Glaube ist der wahre. Alles andere ist Ersatz, Phantom,
Lüge.
Diese simple Alternative, »christlicher Glaube - Gottlosigkeit« [,] enthält die Wahr-
heit, dass es den grossen Gegensatz Glaube - Unglaube gibt, diesen Gegensatz, der in
jedem Menschen als Spannung liegt, und der die Geistigkeit der Menschheit in zwei
Lager teilt, deren Fronten nie klar sind.
Dieser Gegensatz zeigt sich u.a. auch in der Ehrfurcht vor der Überlieferung, in der
Bereitschaft, Autorität anzuerkennen. Aber die Fixierung der Autorität kann nur für
begrenzte Gruppen von Menschen gütig sein. Je tiefer die Erhellung des Menschen in
seinem Leben aus der Überlieferung dringt, desto klarer wird die Alternative Glauben
aus der Autorität der Achsenzeit oder Nihilismus.
Gerade die autoritativ begrenzte Ehrfurcht allein vor der fixierten Überlieferung
der Institution, der einer angehört, verbindet sich leicht mit dem Nihilismus im Gan-
zen. Denn es ist oft keine echte, sondern eine daseinsinteressierte Ehrfurcht, eine Form
der zweckmässigen Selbstbehauptung, nicht der echten Hingabe. Erst die eigentliche
Ehrfurcht ist für das offen, was der Menschheit gehört, beugt sich diesen Gehalten in
ganzem Umfang, verliert die Aggressivität, ist gebunden allein an die Transcendenz,
welche unfassbar in der Welt, ihrerseits nicht gebunden an eine einzige Institution
oder Kirche oder an den Inhalt von Dogma und Gesetz ist.
cc. Die Philosophie führe zu Abkehr von Welt und Realität: Dieser Vorwurf ist vom
Christen gegen eine Spiritualisierung der Philosophie erhoben. Der philosophische
Gedanke führe in einen falschen Idealismus, verdecke schwärmerisch die Realität, weil
ihm die Wirklichkeit Gottes verloren sei. Ganz ähnlich sprechen Glaubenslose, nur
dass sie statt von Gott allein von der Realität reden. Es heisst:
Die Philosophie lehrt die Welt verachten. Da aber die Welt für die Gesinnung der
Weltmächte alles ist, so gilt ihnen Philosophie als illusionär. Philosophie ist gefähr-
lich, weil sie versäumen lehrt, was allein Realität hat. Philosophie lehrt ein falsches
Jenseits (seit Parmenides[’] Zweiweltentheorie);416 sie ist einem Dualismus verfallen;
der Philosoph pflegt dementsprechend in seiner Haltung weltfremd zu sein.
Die Philosophie stellt sich über die Natur. Sie meint aus einer imaginären, transcen-
denten Quelle Wahrheit zu schöpfen. Aber die Wirklichkeit ist nicht solche über-
natürliche Transcendenz, sondern die Natur selber. Was ich für wahr halte, entspringt
meiner Artung, meine Artung ist biologisch bestimmt. Was ich glaube, liegt nicht an
Gott und mir selbst, sondern darin spricht die Rasse, die ich bin. Nicht Gott ist die Vor-
aussetzung, die Wahrheit, sondern das Leben, welches die Rasse ist.
Gegen solche Einwürfe ist zu erwidern: Jeder dieser Einwände beruft sich seiner-
seits auf eine als absolut beanspruchte Realität. Die in solchem Einwand jeweils lie-
gende, unbefragte falsche Philosophie oder Unphilosophie ist ans Licht zu ziehen.
 
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