Grundsätze des Philosophierens
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tergang rettete sie die nun voll entfaltete prophetische Religion durch ein unbeirrba-
res Vertrauen. In ohnmächtiger Lage lebten sie fort als Exilierte und bauten aus den
Trümmern ihrer Überlieferung die Gesetzesreligion, durch die sie in politischer Ver-
nichtung als Hierarchie unter Fremdherrschaft leben konnten.424 Aber die Gesetzesre-
ligion schloss in sich die Spannung, die sie zugleich unerträglich machte. Der leben-
dige Glaube sprach sich aus in Hiob und Psalmen. In den furchtbaren Zeiten der
Entstehung des römischen Kaiserreichs erwuchs durch Jesus die weitere Verwandlung
dieser Religion, die sich nach seinem Tode bald zur Christusreligion umgestaltete, in
welcher die unterdrückten und wurzellosen Menschen des Imperiums als Einzelne und
in Gemeinden jedem Unheil Trotz boten.
Durch alle Situationen hindurch, in allen Verwandlungen des Glaubens blieb der
ununterbrochene Zusammenhang durch die alles beherrschende Wahrheit des Got-
tesglaubens, des einen Gottes, blieb etwas von Gesetzen Gottes, vom Bund mit ihm,
vom Gebet zu ihm.
Es war ein radikaler Unterschied von allen anderen Menschen. Diese gründeten ihr
Dasein primär auf die Realitäten dieser Welt und eine Religion gab dazu die Weihe. Die
Menschen der biblischen Religion gründeten ihr Dasein selber zuerst auf Gott. Sie ha-
ben von daher bis heute den bisher unüberwindlichen Antrieb, aus dem Gottesglau-
ben und seinen Folgen alles, was sie tun, wie sie ihre Welt einrichten, Staaten bauen,
ordnen, verwalten, herzuleiten. Vor Gott wollen sie es rechtfertigen. Gut und böse,
Gott und Mensch sind das zuerstund absolut Gütige, alles andere, das Innerweltliche,
Völker, Mächte, Interessen sollen unter diese Bedingung treten. Was in Ohnmacht ge-
boren wurde, das Hören auf Gottes Offenbarung, wurde in den christlichen Staaten
des Abendlandes - mit ausserordentlichen Einschränkungen, versteht sich - zu welt-
gestaltender Macht. Die Herkunft dieses in Ohnmacht erwachsenen Glaubens ist deut-
licher zu charakterisieren:
Im Unterschied von den glücklichen in dieser Welt sich verwirklichenden Völkern,
denen ihr Gott gegenwärtig ist, und die mit diesem sterben, wenn die Schicksalsstunde
schlägt, standen die Menschen der biblischen Religion immer fern zum Wesentlichen,
das sie verloren oder nie besessen hatten. Bodenlos in der Welt fanden sie auf die Dauer
ihren Boden nur in dem einen Gott. Dieser eine Gott aber war fern und wurde immer
wieder auf andere Weise fern. Wo er nahe wurde, schien die echte Religion verloren zu
gehen.
Jahwe war der ferne Gott, fern auf dem Sinai. Er war nicht anwesend; wollte er in
besonderer Not helfen, so in der entscheidenden Schlacht gegen Sisera,425 so kam er
von fern her, um einzugreifen. Bei sich hatte man nur die Lade, auf der er sich nieder-
lassen konnte, nicht ihn selber, nicht einmal ihn im Bilde. Als man anfing, Gottesbil-
der zu schnitzen, empörte sich der Glaube an Gott gegen diesen Frevel. Verwehrt wurde
die ständige leibhaftige Gegenwart Gottes.
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tergang rettete sie die nun voll entfaltete prophetische Religion durch ein unbeirrba-
res Vertrauen. In ohnmächtiger Lage lebten sie fort als Exilierte und bauten aus den
Trümmern ihrer Überlieferung die Gesetzesreligion, durch die sie in politischer Ver-
nichtung als Hierarchie unter Fremdherrschaft leben konnten.424 Aber die Gesetzesre-
ligion schloss in sich die Spannung, die sie zugleich unerträglich machte. Der leben-
dige Glaube sprach sich aus in Hiob und Psalmen. In den furchtbaren Zeiten der
Entstehung des römischen Kaiserreichs erwuchs durch Jesus die weitere Verwandlung
dieser Religion, die sich nach seinem Tode bald zur Christusreligion umgestaltete, in
welcher die unterdrückten und wurzellosen Menschen des Imperiums als Einzelne und
in Gemeinden jedem Unheil Trotz boten.
Durch alle Situationen hindurch, in allen Verwandlungen des Glaubens blieb der
ununterbrochene Zusammenhang durch die alles beherrschende Wahrheit des Got-
tesglaubens, des einen Gottes, blieb etwas von Gesetzen Gottes, vom Bund mit ihm,
vom Gebet zu ihm.
Es war ein radikaler Unterschied von allen anderen Menschen. Diese gründeten ihr
Dasein primär auf die Realitäten dieser Welt und eine Religion gab dazu die Weihe. Die
Menschen der biblischen Religion gründeten ihr Dasein selber zuerst auf Gott. Sie ha-
ben von daher bis heute den bisher unüberwindlichen Antrieb, aus dem Gottesglau-
ben und seinen Folgen alles, was sie tun, wie sie ihre Welt einrichten, Staaten bauen,
ordnen, verwalten, herzuleiten. Vor Gott wollen sie es rechtfertigen. Gut und böse,
Gott und Mensch sind das zuerstund absolut Gütige, alles andere, das Innerweltliche,
Völker, Mächte, Interessen sollen unter diese Bedingung treten. Was in Ohnmacht ge-
boren wurde, das Hören auf Gottes Offenbarung, wurde in den christlichen Staaten
des Abendlandes - mit ausserordentlichen Einschränkungen, versteht sich - zu welt-
gestaltender Macht. Die Herkunft dieses in Ohnmacht erwachsenen Glaubens ist deut-
licher zu charakterisieren:
Im Unterschied von den glücklichen in dieser Welt sich verwirklichenden Völkern,
denen ihr Gott gegenwärtig ist, und die mit diesem sterben, wenn die Schicksalsstunde
schlägt, standen die Menschen der biblischen Religion immer fern zum Wesentlichen,
das sie verloren oder nie besessen hatten. Bodenlos in der Welt fanden sie auf die Dauer
ihren Boden nur in dem einen Gott. Dieser eine Gott aber war fern und wurde immer
wieder auf andere Weise fern. Wo er nahe wurde, schien die echte Religion verloren zu
gehen.
Jahwe war der ferne Gott, fern auf dem Sinai. Er war nicht anwesend; wollte er in
besonderer Not helfen, so in der entscheidenden Schlacht gegen Sisera,425 so kam er
von fern her, um einzugreifen. Bei sich hatte man nur die Lade, auf der er sich nieder-
lassen konnte, nicht ihn selber, nicht einmal ihn im Bilde. Als man anfing, Gottesbil-
der zu schnitzen, empörte sich der Glaube an Gott gegen diesen Frevel. Verwehrt wurde
die ständige leibhaftige Gegenwart Gottes.