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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0511
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Grundsätze des Philosophierens

einer inneren Sinnkonsequenz aus der Erfahrung des Äussersten Gott erblickt und, was
es sah, für immer ausgesprochen hat.
Wo biblische Religion erwuchs, wurde der Mensch aus der Welt herausgehoben.
Aber dadurch kam er in der Welt, in der er doch faktisch als Dasein blieb, notwendig
immer in eine schiefe Stellung. Von den in Kanaan ansässig Gewordenen, in deren
Seele das Wüstenideal blieb, über die hierokratisehen Gesetzesjuden, die Fremdherr-
schaft brauchten und doch frei sein wollten, bis zu den Christusgläubigen, denen die
Welt nichts war und die doch die Welt gestalteten und gestalten wollten, immer ist
eine radikale Unstimmigkeit. Denn immer findet, was in der Welt lebt, notwendig auch
eine Gestalt des Weltdaseins, auch wenn esa die Welt nicht meint. Diese Gestalten sind
widerspruchsvoll, inkonsequent, unbeständig und gehen durch die Verwirklichungen
der biblischen Religion von der alten nationalen Jahwereligion über den jüdischen
Kirchenstaat zur christlichen Kirchenbildung in verwunderlichen Verwandlungen
und Wiederholungen des Nationalen, des Hierokratischen, des Gesetzlichen. Diese
Religion schwankt zwischen Verzicht auf die Welt und Anspruch totaler Weltherr-
schaft, verleugnet alle Kultur und bringt die höchste Kultur hervor.
Aber sind diese Unstimmigkeiten Folge eines irrenden Glaubens? Oder ist durch
diesen Glauben an den Tag gekommen, dass der Mensch Mensch ist, d.h. kein in sei-
nen Eebensbahnen vorbestimmtes, in seiner Art wohlgeratenes Tier, sondern ein brü-
chiges Wesen, das zum Höchsten bestimmt ist, zum Wagnis aus seiner Freiheit, - das
darum keine endgiltige Gestalt finden kann und durch immer neue Weisen seines
Scheiterns den Weg durch die Zeit geht, nicht ahnend wohin.
Ich komme, ich weiss nicht woher,
Ich bin, ich weiss nicht wer,
Ich sterb, ich weiss nicht wann,
Ich geh, ich weiss nicht wohin,
Mich wunderts, dass ich fröhlich bin.431
Aus äussersten Situationen ist das Äusserste bewusst geworden. Aus dem Äussersten
kam auch die Bereitschaft der nördlichen Völker, diesen Weg der biblischen Religion
zu dem ihrigen zu machen. Beda432 erzählt (Kirchengeschichte 2. Buch, Kap. 13):
Im Rat eines angelsächsischen Königs, der 627 n.Chr. über Annahme oder Ableh-
nung des Christentums entscheiden sollte, sprach einer der Fürsten: Mein König, das
gegenwärtige heben der Menschen auf Erden scheint mir im Vergleich zu jener Zeit,
die uns unbekannt ist, so zu sein, wie wenn du dich zur Winterszeit mit deinen Für-
sten zu Tisch setzest. Mitten auf dem Herde brennt das Feuer und wärmt den Saal,
draussen aber tobt der Sturm des Schneegestöbers. Da kommt ein Sperling herangeflo-
gen und durchfliegt schnell, an der einen Tür hinein, an der andern hinaus, den Saal.

es nach der Abschrift Schott statt er in den Abschriften Gertrud Jaspers undA. F.
 
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