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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0516
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Grundsätze des Philosophierens

513

Weil sie vor diesem Gott stehen, wachsen die Menschen der Bibel, während sie als
Menschen sich nichtig wissen, ins Übermenschliche. Diese Gottesmänner und Pro-
pheten sind Helden, die sich gegen ihre Umwelt - zuweilen als Einzelne gegen alle an-
deren - behaupten, weil sie sich als Knechte Gottes fühlen. Was in Legenden von Mo-
ses und Elias anschaulich [,] ganz wirklich in Amos, Jesaias und Jeremias ist, das sind
in der Tat Gestalten, wie Michelangelo sie sah.
Das Heldentum in der Bibel ist nicht der unbändige Trotz der Kraft, die auf sich
steht. Das Wagen des Unmöglichen geschieht im Auftrag Gottes. Der Heroismus wird
sublimiert. Aber was dies ermöglicht, führt leicht auch zu einer Denaturierung des He-
roismus in hässlich verzerrte Sturheit eines verkehrenden Geistes. Ein Schizophrener
(Hesekiel) kann durch seine Geistesprodukte - einmalig - eine weltgeschichtliche Wir-
kung haben.448
Es gibt Bibelworte, die still, rein, wie die Wahrheit selber wirken. Aber sie sind sel-
ten. Sie sind hineingenommen in einen Wirbel der Ausschreitungen zu den äussersten
Möglichkeiten. Das Maasslose, Ausschweifende, Hässliche drängt sich vor. Ein Schleier
des Pedantischen, Ausgeklügelten, Monotonen legt sich darüber. Aber sogar in diesem
müssen noch die Triebkräfte gewirkt haben, die es verhinderten, dass aus der Esrareli-
gion ein tötlich erstarrtes Judentum wurde; vielmehr blieb eine Glut lebendig, der
Hiob, Psalmen, Ruth, Prediger entstammen.
Eine ständige Gebundenheit der Wahrheit der Bibel an die Materie von Mythen,
sociologischen Realitäten, unhaltbaren Weltbildern, primitives vorwissenschaftliches
Wissen lässt die Erscheinung der biblischen Wahrheit, die für sich geschichtlich ist,
nur historisch werden. Die Gewänder dieser Erscheinung sind schon in der Bibel sel-
ber auswechselbar.449
Es fehlt in der Bibel, mit Ausnahme verschwindender Ansätze, das philosophische
Selbstbewusstsein. Daher die Stärke der sprechenden Existenz, der Ursprung des Of-
fenbarwerdens von Wahrheit, - aber die ständigen Ausschreitungen nach entgegen-
gesetzten Seiten. Es fehlt die ruhige, vernünftige Prüfung. Leidenschaft wird durch Lei-
denschaft corrigiert. Der Gedanke entspringt unmittelbar der Erfahrung.
Die Bibel ist das Depositum eines Jahrtausends menschlicher Grenzerfahrungen.
Aus diesen wurde der Geist des Menschen hell, dass er Gottes gewiss wurde. Das gibt
die einzige Atmosphäre der Bibel.
In der Bibel sieht man den Menschen in den Grundweisen seines Scheiterns. Aber so,
dass die Seinserfahrung und die Verwirklichung gerade im Scheitern offenbar werden.
c. Aufgabe der Verwandlung der biblischen Religion
Wo der Glaube lebendig war, hat er sich in der Erscheinung verwandelt. Das zeigt die
Geschichte der biblischen Religion sowohl in den Zeitaltern der Entstehung der Bibel
wie nachher. Dabei meint der Glaube nur das ewig Wahre unverwandelt festzuhalten.
 
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