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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0551
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Grundsätze des Philosophierens

zu haben, um diesen Geist wiederzuerkennen, wo immer er in der Welt verschleiert und
bruchstückhaft begegnet. Er ist der Gipfel der Incarnation christlicher Intoleranz, gegen
die es nichts als Intoleranz gibt.480
Zur modernen Philosophie:
Die moderne Philosophie ist im Vergleich zur antiken und mittelalterlichen ohne um-
fassende Ganzheit, vielmehr zerstreut in verschiedenartigste, beziehungslose Versu-
che, zwar voll grossartiger Systembauten, aber ohne Durchsetzung eines faktisch be-
herrschenden Systems. Sie ist ausserordentlich reich, voll des Concretesten und frei in
speculativer Abstraktheit übermütiger Denkwagnisse, in ständigem Bezug auf neue
Wissenschaft, national differenziert in italienischer, deutscher, französischer, engli-
scher Sprache geschrieben, äusser den Werken in lateinischer Form, die noch der Ge-
wohnheit des fast ausschliesslich lateinischen Mittelalters folgen.
Wir charakterisieren nach dem Schema der Jahrhunderte.
Das 16. Jahrhundert ist reich an unmittelbar ergreifenden, unter sich heterogenen,
ungewöhnlich persönlichen Schöpfungen. Sie sind bis heute fliessende Quellen.
Politisch sind Macchiavelli und Morus Schöpfer der modernen Unbefangenheit des
Fragens nach den realen Zusammenhängen. Ihre Schriften sind in ihrem historischen
Gewände doch jederzeit gegenwärtig, heute so anschaulich und interessant wie damals.
Paracelsus und Böhme führen in die an Tiefsinn und Aberglauben, an Hellsicht und
unkritischer Verworrenheit gleich reiche Welt dessen, was heute Theosophie, Anthro-
posophie, Kosmosophie genannt wird. Anschauungskräftig, bilderreich, launisch füh-
ren sie in einen Irrgarten. Die rationale Struktur ist herauszuheben, zum Teil in ratio-
nalistischer Wunderlichkeit, zum Teil, besonders bei Böhme, in dialektischem Tiefsinn
glänzend.
Montaigne ist der schlechthin selbständig und unabhängig gewordene Mensch
ohne Verwirklichungswillen in der Welt. Haltung und Betrachtung, Redlichkeit und
Klugheit, skeptische Unbefangenheit und praktisches Sichzurechtfindena sind in mo-
derner Gestalt ausgesprochen. Die Eektüre ist unmittelbar fesselnd, philosophisch für
diese Gestalt des hebens ein vollendeter Ausdruck, aber zugleich wie eine hähmung.
Ohne Aufschwung ist diese Selbstgenügsamkeit eine Verführung.
Bruno ist im Gegensatz dazu der unendlich ringende Philosoph, im Ungenügen
sich Verzehrende. Er weiss um die Grenzen und glaubt an das Höchste. Sein Dialog
über die eroici furori ist ein Grundbuch der Philosophie des Enthusiasmus.
Bacon gilt als der Begründer des modernen Empirismus und der Wissenschaften.
Beides zu Unrecht. Denn die eigentlich moderne Wissenschaft - die mathematische
Naturwissenschaft - hat er in den Anfängen seiner Zeit nicht verstanden, und diese

Sichzurechtfinden nach der Abschrift Gertrud Jaspers statt Sichzurechtzufinden im Ms.
 
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