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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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Karl Jaspers - Piper Verlag (1951)

Die buchhändlerische Beurteilung der Verkaufschance muß natürlich unsere
Sache sein. Es wäre für uns aber, verehrter Herr Professor, von Wert, wenn wir kurz
von Ihnen hören dürften, wie das Werk von Hannah Arendt, nachdem Sie es ganz
gelesen haben, als Eindruck vor Ihnen steht.
Mit der soziologischen Tatsache der schlechten finanziellen Lage der Intelligenz
haben wir Verleger heute noch viel mehr zu rechnen als in der »Systemzeit« vor 33, -
ein Phänomen, das hinwiederum den »Ursprüngen des Totalitarismus« benachbart ist
(auch die schlechte Dotierung der Institute und Bibliotheken).
Vor einigen Tagen war ich kurz in Österreich. Was ich dort über die materielle Lage
der Intelligenz, vor allem der Lehrer und Beamten hörte, klingt geradezu katastrophal.
Mir wurde gesagt, ein Mittelschulprofessor verdiene 900-1 000 Schilling im Monat,
nach dem gegenwärtigen Kurs 180-200 Mark. Ein Facharbeiter verdiene 1200-2 000
Schilling, ja darüber. Es herrscht offenbar ein Zweiparteienregime der Volkspartei und
der Sozialdemokraten, das so weit geht, daß manche Betriebe zwei Portiers einstellen
müßten, einen Volksparteiler und einen Sozialdemokraten, nur um den Pfründen-
rechten beider Parteien gerecht zu werden. Schwierige Voraussetzungen für die deut-
sche Selbstbesinnung!
In den letzten Tagen las ich eine Erzählung mit soviel Freude und großer Zustim-
mung wie lange keine: Carossas »Ungleiche Welten«.385 Den Hauptteil des Buches
nimmt die Titelerzählung ein, in der Carossa seine Erlebnisse in der Nazizeit schil-
dert.386 Carossa wurde nach dem Zusammenbruch von einigen Abstrakt-Unversöhn-
lichen angegriffen, weil er die Präsidentschaft der »Europäischen Schriftstellerver-
einigung« angenommen hatte (der Vorgang wird in seinem Bericht ausführlich
geschildert). Es ist symptomatisch interessant, daß einer dieser, von Carossa nicht
namentlich Angeführten zu den Leuten gehört, die jetzt »Gespräche« mit abkom-
mandierten Schriftsteller-Funktionären der Ostzone für friedensförderlich halten. -
Ich erlaube mir, Ihnen das Buch, von dem ich ein Exemplar für Sie bestellt habe,
zugehen zu lassen, da ich es - schon stofflich - als Material für Ihre »Deutsche Selbst-
besinnung« für wertvoll halte.
Mit gleicher Post sende ich Ihnen das Heft der Zeitschrift »Europa-Archiv« vom
5.2.51, in dem ich Sie auf den Aufsatz »Geist und Gegenwart - Der Christ zwischen
Ost und West« aufmerksam machen möchte.387 - Fast täglich ergeben sich Erfahrun-
gen, die zeigen, von welcher großen Bedeutung Ihr Buch sein wird.
Mit besten Grüßen
Ihr sehr ergebener
Klaus Piper
 
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