182
Karl Jaspers - Piper Verlag (1953)
Gleichzeitig schicke ich Ihnen als Drucksache den Vortrag, den ich hier vor libera-
len Theologen gehalten habe.
Über Ihren Plan, kurze Einführungsbücher in wissenschaftliche Gebiete heraus-
zubringen, habe ich weiter nachgedacht. Es ist jedesmal für Sie ein Risiko, wenn Sie
einen Autor beauftragen und dieser nicht von sich aus genügend Verantwortung
spürt. Trotzdem muss so etwas wohl gewagt werden. Mir sind zwei Professoren ein-
gefallen, von denen ich überzeugt bin, dass sie entweder nein sagen oder es ernsthaft
machen, zumal wenn von Ihrer Seite die Idee des Ganzen in einer anregenden Weise
vorgetragen wird, wie sie Ihnen immer eigen ist. Ich denke für eine Einführung in die
Geschichtswissenschaft (oder: Einführung in das geschichtliche Denken) an Prof.
Werner Kaegi in Basel. Dieser hat zwei hervorragende Essaysammlungen (»Histori-
sche Meditationen«) veröffentlicht. Damit steht er als bedeutender Essayist neben
den beiden andern Schweizern Fritz Ernst523 und Carl J. Burckhardt. Ferner hat er zwei
Bände seiner bedeutenden Jacob-Burckhardt-Biographie publiziert.524 Er schreibt vor-
züglich, hat einen weiten Horizont, ist modern und geistig bewegt. Zweitens dachte
ich für das medizinische Feld an Prof. Karl Heinrich Bauer in Heidelberg. Er ist zur Zeit
vielleicht der beste Chirurg in Deutschland und hat erstaunlicherweise eine Feder, die
ungemein lebendig schreibt. Aber er mag auch ein wenig leichtsinnig sein. Sein geisti-
ger Ehrgeiz ist beträchtlich, seine Lebenskraft bezwingend. Ich habe mit ihm 1945/46
in Heidelberg zusammengearbeitet.525 Es ist unvergesslich. Wenn er ein solches Büch-
lein übernehmen würde, würde ihm wohl nicht allzu viel Zeit zur Verfügung ste-
hen. Aber ich vermute, dass er sich Mühe geben würde und sich keinesfalls blamieren
möchte. Dazu ist sein Ehrgeiz zu beträchtlich. Beide Herren ahnen nichts davon, dass
ich sie vorschlage, und es wird besser sein, dass wir das vertraulich behandeln. (Etwa:
Einführung in das medizinische Denken)526
Für Sie wäre es vielleicht ganz interessant, sich einmal die »Chemischen Briefe«
von Liebig anzusehen, 4. Auflage, die früheren Auflagen sind viel kürzer.527 Eventu-
ell könnten Sie in diesem klassischen Buch etwas Vorbildliches für die Gegenwart fin-
den. Wenn es einen Chemiker gäbe, der heute etwas Entsprechendes leisten könnte,
so wäre das ausgezeichnet. Ich kenne keinen. Als bedeutender Forscher ist mir Kuhn
in Heidelberg bekannt.528 Aber ob er schreiben kann, das weiss ich nicht. Zu einem
solchen Buche gehören Qualitäten der Bildung, die heute immer seltener werden.
Ein chemisches Buch von einem Autor, der nicht zugleich ein bedeutender Forscher
wäre, hätte keinen Sinn. Für die Physik wäre Heisenberg in Göttingen der bei weitem
Beste. Er hat ausgezeichnete Essays geschrieben.529 Ich fürchte, dass er damit genug
getan zu haben meint und eine Einführung nicht mehr übernehmen würde. Würden
Sie Heisenberg gewinnen können, so hätten Sie etwas Hervorragendes. Abraten dage-
gen würde ich von Weizsäcker und von Jordan. Beide haben einen sensationellen Stil,
aber irgendwo einen Mangel an Vernunft.530
Karl Jaspers - Piper Verlag (1953)
Gleichzeitig schicke ich Ihnen als Drucksache den Vortrag, den ich hier vor libera-
len Theologen gehalten habe.
Über Ihren Plan, kurze Einführungsbücher in wissenschaftliche Gebiete heraus-
zubringen, habe ich weiter nachgedacht. Es ist jedesmal für Sie ein Risiko, wenn Sie
einen Autor beauftragen und dieser nicht von sich aus genügend Verantwortung
spürt. Trotzdem muss so etwas wohl gewagt werden. Mir sind zwei Professoren ein-
gefallen, von denen ich überzeugt bin, dass sie entweder nein sagen oder es ernsthaft
machen, zumal wenn von Ihrer Seite die Idee des Ganzen in einer anregenden Weise
vorgetragen wird, wie sie Ihnen immer eigen ist. Ich denke für eine Einführung in die
Geschichtswissenschaft (oder: Einführung in das geschichtliche Denken) an Prof.
Werner Kaegi in Basel. Dieser hat zwei hervorragende Essaysammlungen (»Histori-
sche Meditationen«) veröffentlicht. Damit steht er als bedeutender Essayist neben
den beiden andern Schweizern Fritz Ernst523 und Carl J. Burckhardt. Ferner hat er zwei
Bände seiner bedeutenden Jacob-Burckhardt-Biographie publiziert.524 Er schreibt vor-
züglich, hat einen weiten Horizont, ist modern und geistig bewegt. Zweitens dachte
ich für das medizinische Feld an Prof. Karl Heinrich Bauer in Heidelberg. Er ist zur Zeit
vielleicht der beste Chirurg in Deutschland und hat erstaunlicherweise eine Feder, die
ungemein lebendig schreibt. Aber er mag auch ein wenig leichtsinnig sein. Sein geisti-
ger Ehrgeiz ist beträchtlich, seine Lebenskraft bezwingend. Ich habe mit ihm 1945/46
in Heidelberg zusammengearbeitet.525 Es ist unvergesslich. Wenn er ein solches Büch-
lein übernehmen würde, würde ihm wohl nicht allzu viel Zeit zur Verfügung ste-
hen. Aber ich vermute, dass er sich Mühe geben würde und sich keinesfalls blamieren
möchte. Dazu ist sein Ehrgeiz zu beträchtlich. Beide Herren ahnen nichts davon, dass
ich sie vorschlage, und es wird besser sein, dass wir das vertraulich behandeln. (Etwa:
Einführung in das medizinische Denken)526
Für Sie wäre es vielleicht ganz interessant, sich einmal die »Chemischen Briefe«
von Liebig anzusehen, 4. Auflage, die früheren Auflagen sind viel kürzer.527 Eventu-
ell könnten Sie in diesem klassischen Buch etwas Vorbildliches für die Gegenwart fin-
den. Wenn es einen Chemiker gäbe, der heute etwas Entsprechendes leisten könnte,
so wäre das ausgezeichnet. Ich kenne keinen. Als bedeutender Forscher ist mir Kuhn
in Heidelberg bekannt.528 Aber ob er schreiben kann, das weiss ich nicht. Zu einem
solchen Buche gehören Qualitäten der Bildung, die heute immer seltener werden.
Ein chemisches Buch von einem Autor, der nicht zugleich ein bedeutender Forscher
wäre, hätte keinen Sinn. Für die Physik wäre Heisenberg in Göttingen der bei weitem
Beste. Er hat ausgezeichnete Essays geschrieben.529 Ich fürchte, dass er damit genug
getan zu haben meint und eine Einführung nicht mehr übernehmen würde. Würden
Sie Heisenberg gewinnen können, so hätten Sie etwas Hervorragendes. Abraten dage-
gen würde ich von Weizsäcker und von Jordan. Beide haben einen sensationellen Stil,
aber irgendwo einen Mangel an Vernunft.530