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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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Karljaspers - Piper Verlag (1955)

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»moralischer Kontrolle«, die »totalitär« den ganzen Menschen erfassen will, ernst
zu nehmen, wie ebenso der große geistesgeschichtliche Zusammenhang zwischen
dem Absolutheitsanspruch christlich-jüdischen Glaubens und dem »säkularisier-
ten« Absolutheitsanspruch des marxistisch-bolschewistischen Kremls gegeben ist.
Eine ganz andere Sache ist aber doch die faktische, - politische und soziale Realität
heute, im Jahr 1955. Unter diesem Aspekt der nüchtern beurteilten Realität finde ich
eine Gleichsetzung des Vatikans und des Kremls falsch. Während für das unverän-
derte Wunschziel des Kremls, sich die westliche Welt zu unterwerfen, tausend Beweise
vorliegen, sehe ich für ein solches reales Ziel im Wirken des Vatikan keine Belege -
trotz des universalistischen Apparates von Rom. Aber man muß sich doch an die Tat-
sachen halten und diese scheinen mir die katholische Kirche als zwar dogmatisch
nach wie vor autoritäre und geschlossene, aber politisch konservativ und liberal sehr
»gemischte« Körperschaft zu zeigen. Es handelt sich darum, wer heute physisch und
geistig vergewaltigen will und wer sich in seinem realen Verhalten immerhin mit der
Welt, in der er lebt, in einem Gleichgewicht zu halten sucht.
Dabei noch die ganz andere Frage: Wie würde heute unsere politische Realität
aussehen, wenn es in den letzten zwanzig Jahren das, was man die katholische Welt
nennt, nicht gegeben hätte. Ich bin von Instinkt und Tradition her Liberaler, aber,
wie ich zugeben muß, aus den Erfahrungen vor 33, die ich doch schon ziemlich
bewußt miterlebte, tief skeptisch gegen die Lebensfähigkeit und Behauptungskraft der
Liberal-Radikalen. Daß im deutschen Widerstand liberale Sozialisten, Demokratisch-
Liberale, gläubige Katholiken und Protestanten sich verstanden und zusammengear-
beitet haben, war doch nicht nur ein Notbündnis wie das zwischen Churchill und Sta-
lin, sondern entsprach auch einer inneren Möglichkeit.
Es ist also nicht eine Rücksicht auf die gegenwärtig in der Bundesrepublik unbe-
streitbar bedeutende Rolle des Katholizismus, die mich hinsichtlich dieses Buchs
skeptisch macht, sondern mehr meine Skepsis über das Buch selbst.
Ich danke Ihnen aufrichtig für die interessante Anregung und erlaube mir, Ihnen
den Brief von Herrn Dr. Feld mit dem Expose anbei wieder zurückzuschicken.673
Mit herzlichen Grüßen Ihnen und Ihrer lieben, verehrten Gattin und guten Wün-
schen für die Ostertage auch an dieser Stelle
Ihr
Klaus Piper
 
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