Karl Jaspers - Piper Verlag (1959)
339
wärtig noch einen Bestand von rund 2 500 Exemplaren (vom 16.-24. Tausend). Wir
werden mit diesem Vorrat wohl bis Ostern reichen. Könnten wir den Text zu dem
Nachwort bis 15. Februar haben, da dann wahrscheinlich die Vorbereitungen für die
nächste Auflage des Buchs (bei 6 Tausend Auflage, 25.-30. Tausend) getroffen werden
müssen.
Das gegenwärtig zu größter politischer Aktualität gelangte Thema: »Unter welchen
Bedingungen und wie kann man mit den Totalitären (Kommunisten) reden?< in einer
kleinen Broschüre eigens zu behandeln - das finde ich eine hervorragende Idee! Die
Ratlosigkeit vor dieser Frage ist allgemein. Bedenklicher ist allerdings noch, daß man
immer wieder, auch bei Professoren, führenden Kaufleuten usw., auf politisch-mora-
lisch aufgeweichtes Gelände trifft, wenn das Gespräch auf dies Problem kommt. Ganz
richtig ist, was Röpke in seinem im Juli 1958 erschienenen Aufsatz »Drastische Wahr-
heiten« (ich erlaube mir, den Abzug, den Röpke schickte, beizufügen) bemerkte: daß
von vielen Befürwortern einer prinzipiellen Bereitschaft für die sowjetischen Forde-
rungen im Unterbewußtsein ein »Dammbruch nach Westen ... zwar nicht beabsich-
tigt, aber von vornherein als nicht allzu schlimm in Kauf genommen wird«.1058 Noch
schwieriger wird die Sache, weil man zugeben muß, daß sich unter diesen neutrali-
stisch oder »kapitulantisch« gesinnten Leuten zahlreiche Menschen befinden, deren
tadellose Haltung in der Nazizeit außer jedem Zweifel steht. Aber diese Menschen
messen mit zweierlei Maß. Häufig ist die sozialistische Jugendimprägnierung so stark,
daß solche Menschen wohl einfach genötigt sind, Sozialismus und Kommunismus als
nur zwei verschiedene Ausformungen der einen großen, mit unfehlbarer Sicherheit
sich vorbereitenden sozialistischen Weltzukunft zu sehen. Es sind die Menschen, die,
wie Hannah Arendt am Schluß ihres Totalitarismus-Buches es so großartig ausführt,
vom Glauben an die »Bewegung« der Geschichte gefangen genommen sind.1059 - Ich
möchte wiederholen: Diese Broschüre wäre von außerordentlicher Bedeutung und
segensreicher Wirkung.
Vielmals danke ich Ihnen für die Übersendung des Wiesbadener Vortrags über den
Arzt.Io6° Wie schön ist Ihr Gedanke an die Möglichkeit, den Vortrag mit Erfahrungs-
material zu illustrieren. Aber ich sehe hier auch warnend den Zeigefinger der lieben
gnädigen Frau erhoben: Den GROSSEN PHILOSOPHEN soll keine kostbare Arbeitszeit
genommen werden.
Daß es Sie interessierte, sich mit den Verlagswerken, die ich Ihnen schickte, ein
wenig zu befassen, freut mich sehr. Mein kleiner Aufsatz im »Kristall«,1061 den ich, wie
Sie zutreffend bemerkten, als Chance zu ein paar Worten über meine verlegerischen
Impulse benutzte, hat mir übrigens, - mit Einschreibebriefen und Zustellungsurkun-
den - einige sehr komische Manuskript-Angebote eingebracht, die in unser Raritäten-
kabinett gewandert sind. Was sich so an geistigen Verworrenheiten in sonst braven
bürgerlichen Köpfen abspielt, ist immer einfach erstaunlich.
339
wärtig noch einen Bestand von rund 2 500 Exemplaren (vom 16.-24. Tausend). Wir
werden mit diesem Vorrat wohl bis Ostern reichen. Könnten wir den Text zu dem
Nachwort bis 15. Februar haben, da dann wahrscheinlich die Vorbereitungen für die
nächste Auflage des Buchs (bei 6 Tausend Auflage, 25.-30. Tausend) getroffen werden
müssen.
Das gegenwärtig zu größter politischer Aktualität gelangte Thema: »Unter welchen
Bedingungen und wie kann man mit den Totalitären (Kommunisten) reden?< in einer
kleinen Broschüre eigens zu behandeln - das finde ich eine hervorragende Idee! Die
Ratlosigkeit vor dieser Frage ist allgemein. Bedenklicher ist allerdings noch, daß man
immer wieder, auch bei Professoren, führenden Kaufleuten usw., auf politisch-mora-
lisch aufgeweichtes Gelände trifft, wenn das Gespräch auf dies Problem kommt. Ganz
richtig ist, was Röpke in seinem im Juli 1958 erschienenen Aufsatz »Drastische Wahr-
heiten« (ich erlaube mir, den Abzug, den Röpke schickte, beizufügen) bemerkte: daß
von vielen Befürwortern einer prinzipiellen Bereitschaft für die sowjetischen Forde-
rungen im Unterbewußtsein ein »Dammbruch nach Westen ... zwar nicht beabsich-
tigt, aber von vornherein als nicht allzu schlimm in Kauf genommen wird«.1058 Noch
schwieriger wird die Sache, weil man zugeben muß, daß sich unter diesen neutrali-
stisch oder »kapitulantisch« gesinnten Leuten zahlreiche Menschen befinden, deren
tadellose Haltung in der Nazizeit außer jedem Zweifel steht. Aber diese Menschen
messen mit zweierlei Maß. Häufig ist die sozialistische Jugendimprägnierung so stark,
daß solche Menschen wohl einfach genötigt sind, Sozialismus und Kommunismus als
nur zwei verschiedene Ausformungen der einen großen, mit unfehlbarer Sicherheit
sich vorbereitenden sozialistischen Weltzukunft zu sehen. Es sind die Menschen, die,
wie Hannah Arendt am Schluß ihres Totalitarismus-Buches es so großartig ausführt,
vom Glauben an die »Bewegung« der Geschichte gefangen genommen sind.1059 - Ich
möchte wiederholen: Diese Broschüre wäre von außerordentlicher Bedeutung und
segensreicher Wirkung.
Vielmals danke ich Ihnen für die Übersendung des Wiesbadener Vortrags über den
Arzt.Io6° Wie schön ist Ihr Gedanke an die Möglichkeit, den Vortrag mit Erfahrungs-
material zu illustrieren. Aber ich sehe hier auch warnend den Zeigefinger der lieben
gnädigen Frau erhoben: Den GROSSEN PHILOSOPHEN soll keine kostbare Arbeitszeit
genommen werden.
Daß es Sie interessierte, sich mit den Verlagswerken, die ich Ihnen schickte, ein
wenig zu befassen, freut mich sehr. Mein kleiner Aufsatz im »Kristall«,1061 den ich, wie
Sie zutreffend bemerkten, als Chance zu ein paar Worten über meine verlegerischen
Impulse benutzte, hat mir übrigens, - mit Einschreibebriefen und Zustellungsurkun-
den - einige sehr komische Manuskript-Angebote eingebracht, die in unser Raritäten-
kabinett gewandert sind. Was sich so an geistigen Verworrenheiten in sonst braven
bürgerlichen Köpfen abspielt, ist immer einfach erstaunlich.