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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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Karl Jaspers - Piper Verlag (1960)

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Thesen wohl nur entstellt, bestenfalls bruchstückhaft begegnet sind. Ich überlege,
ob Sie nun nicht in einer Broschüre die entscheidenden Punkte in einem vielleicht
umfassenderen Konzentrat, als es im Interview möglich war, darstellen sollten - es
wäre eine der aktuellen Situation dienende Vorwegnahme des Gegenwarts-Teils des
Deutschland-Buchs auch. Umfang vielleicht 30-35 Seiten und so als Sendung von
2 Stunden (je 45 Min.) für den Rundfunk geeignet.
Erlauben Sie mir bitte, lieber Herr Professor, einige Punkte des Problems, die mir
vor Augen stehen, hier kurz, ohne strengen Zusammenhang, aufzuschreiben:
l) Als Frage erscheint mir, ob die Alternative: Wiederherstellung des »Bismarck-
reichs« (das Schlesien, West- und Ostpreussen einschloss) oder Verzicht auf diese
Wiederherstellg., d.h. Verzicht auf die »Wiedervereinigung« historisch nicht schon
überholt ist. Gewiss sind die Älteren, zumal auch die Flüchtlinge aus dem Osten
usw., noch im nationalstaatlichen Denken der früheren (schwarz-weiss-roten) Prä-
gung befangen. Die nationalistischen Gesinnungen, samt ihren ideol. Gegenposi-
tionen, werden der Jugend aber sichtbar fremder und ferner. Die neue Generation in
Deutschland denkt unbefangener, »technischer«, auf Lebensstandard, Fortkommen
und Sicherheit bedacht, und ergreift Europa mehr und mehr als gemeinsame Arbeits-
stätte und als gemeinsamen Spielplatz. Die Nationen darin als die durch Herkommen,
Sprache, Sitte, Wirtschaftsstruktur gebundenen Teil-Felder; diese aber heute im Ver-
gleich zu 1914 neutralisiert, nicht mehr, oder nur mehr wenig mit politisch-emotio-
neller patriotischer Substanz geladen. - Deshalb zählt faktisch das, was Reifenberg die
»Lebenstrennung« nannte, - die Unmöglichkeit des Hin- und Herflutens von Men-
schen, Gütern, Leistungen, von Wissenschaft und Kunst im europäischen Teilfeld
Deutschland.
2 .) Sind die Unmöglichkeit, die Wiedervereinig, in Freiheit zu erringen, oder »nur«
die Freiheit (ohne die staatl. Wiedervereinigung) identisch? Gilt nicht die doppelte
Identität: a) ein freiheitlich-demokratischer neutraler mitteldeutscher Staat (jetzige
Sowjetzone) würde wirtschaftlich, gesellschaftlich, lebensmässig automatisch mit
der Bundesrepublik »wiedervereinigt« sein; b) für Moskau sind beide Zustände gleich
unannehmbar; denn beide bedeuten Aufgabe des politisch und militärisch wichtig-
sten kommunistischen Satelliten-Regimes, nach aller Erfahrung den einfach undenk-
baren Verlust des »Gesichts«, Verzicht auf die (auch zur Beherrschung des Ostblocks
und zur kommunistischen Unter-Druck-Setzung Europas und der freien Welta[)] ent-
scheidende Machtposition in Mitteleuropa.
3 .) Konsequenz aus den Argumenten unter 1.) u. 2.): Das Problem der Teilung
Deutschlands müsste unter dem Aspekt der realen Lage in die Weltkonstellation des
Ost-West-Konflikts und in die - ich hoffe nicht, zu optimistisch zu sein - bei allem

a und zur kommunistischen Unter-Druck-Setzung Europas und der freien Welt Einf. am Rand
 
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