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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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384

Karl Jaspers - Piper Verlag (1960)

jetzt viel leichter zu sein scheint als in der Zeit Stalins, wenn es auch heute offenbar
immer noch nur äußerst selten vorkommt, daß man einmal privat von jemand nach
Hause eingeladen wird. Meine Besucherin berichtete, wie sehr sie davon überrascht
gewesen sei, zu beobachten, daß eine enorme Furcht vor Deutschland in der ganzen
Bevölkerung verbreitet sei - eine Furcht vor der militärischen und industriellen Macht
Deutschlands. Diese Furcht, keineswegs nur bei überzeugten Kommunisten, sondern
auch bei Menschen der älteren Art, Frauen, einfachen Leuten, anzutreffen, sei offen-
bar viel stärker als die Angst vor Amerika. Ein immerhin interessanter Beitrag zum
Aspekt »mit den Augen Russlands, der Sowjets gesehen«.
Was Sie meiner Erinnerung nach an einer Stelle schon deutlich gesagt haben, ist
die Selbstverständlichkeit: Eine, die kommunistische Wiedervereinigung können wir
sofort haben. Wir brauchen nur die mit unerschütterlicher Geduld »uns entgegenge-
streckte Hand« von Ulbricht entgegenzunehmen. - Was die Deutschen aber einmal
lernen müssen zu unterscheiden, ist, daß es in der Wahl der Bedingungen für politi-
sches Handeln keine Freiheit gibt, wohl aber die Freiheit der falschen oder der rech-
ten, durch die Illusionen hindurchdringenden Einsicht, die zum rechten Handeln
befähigt. Die Deutschen lieben es, oder haben es bisher immer wieder zusehr geliebt,
politisches Denken, das sich gegen die Realitäten richtet, mit dem Handeln in eins
zu setzen. - Besonders gespannt bin ich auf Ihren »Adenauer-Beitrag«, der ja keine
»Wahlhilfe« sein,1201 sondern ein Stück Kritik der gegenwärtigen Politik sein wird (auf
der Grundlage der Anerkennung für die große Hauptleistung Adenauers, die gerade
und, wie jetzt alle einsehen, einzig möglich gewesene Linie seiner Außenpolitik). Für
den kritischen Aspekt erlaube ich mir, den in den letzten Tagen in der FAZ erschiene-
nen Beitrag »Erhard oder Berg?« von Jürgen Eick beizufügen.1202
Wenn Sie, im Adenauer-Beitrag, kritische Lichter zur gegenwärtigen Situation
der faktischen deutschen Politik vorbringen, dann müßte auch die SPD eine kräf-
tige kritische Beleuchtung erhalten - meiner Meinung nach in erster Linie wegen des,
bei mir wahrhaft unvergessenen, »Deutschland-Plans«, dessen Konföderations-Teil
katastrophal war und der mit einer solchen Hexameter-Geschwindigkeit nunmehr
von der Bühne gefegt worden ist.1203 Zum Thema der »Konföderation« füge ich den
am 18.2.1959 in der FAZ erschienenen großen Artikel von Sternberger bei »Der rote
Faden - das kommunistische Verfahren für die Wiedervereinigung Deutschlands«.1204
Die Narren, die Leichtgläubigen, die Naivlinge wollen ja bei uns zu Lande nicht aus-
sterben. Ich halte es für sehr wichtig, daß Ihre Broschüre nicht nur gegen die ent-
weder unaufgeklärte, oder stumpfe, oder einfach hilflose »Rechtsreaktion« Stellung
nimmt, sondern auch gegen die erkleckliche Zahl der Konföderationalisten, Kapi-
tulanten usw. Heute morgen lasen wir in den Zeitungen: Verhandlungsbereitschaft
bei Ulbricht.1205 Nun sehe ich schon wieder die Professoren, Schriftsteller, Künstler,
Studienräte, die sagen: na endlich; wir haben es doch immer gesagt, daß man mit
 
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