Karl Jaspers - Piper Verlag (1962)
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tschow nicht gewillt ist oder in der Lage wäre, die sich in gewisser Weise verbürgerli-
chenden Schichten der sowjetischen Gesellschaft für eine militärische Aggression im
Weltmaßstab unter Einsatz des vollen Risikos zu mobilisieren. Die kommunistische
Führung arbeitet aber gewiß weiterhin planmäßig und im Glauben, daß es gelinge,
darauf hin, ohne den Preis des größten Risikos den Westen zu demoralisieren, aus-
einanderzubrechen, Europa zu erobern. Gerade deshalb, und weil die Chance gege-
ben ist, müssen Wachsamkeit, ein eindeutiges moralisches Bewußtsein über Freiheit
und Recht als die grundlegenden Lebenswerte und muß, im notwendigen Vollzug
dieser Einsicht, die weitere Bereitschaft auch zur materiellen Stärke bestehen, um das
Gleichgewicht zu halten. Dieses begünstigt die Aufrechterhaltung des Friedens, der
durch eine Gesinnung von Neutralismus, radikalen Pazifismus nach wie vor gefähr-
det wird - eine bedauerliche, aber nach der Beschaffenheit der menschlichen Dinge
unumgängliche Erkenntnis.
Die Vorstellung eines West-Berlin in neuer Gestalt, die Sie in Ihrem Brief entwik-
kelten, ist verlockend. Sie erwähnen dabei die notwendige »totale Abhängigkeit von
Amerika«, was bedeutet, daß westliche Besatzungstruppen in West-Berlin bleiben
müssen. Ebenso ist die absolute Offenhaltung des freien Zugangs nach Berlin Bedin-
gung, wenn nicht ein Weg beschritten werden soll, der schließlich doch zum Verlust
führen würde. Vielleicht ist mein Denken primitiv, aber ich meine doch, daß eine ent-
scheidende, sich machtpolitisch wirklich unterscheidende dritte Möglichkeit zwi-
schen a) Festhalten am status quo (höchstens mit in der politischen Substanz uner-
heblichen Modifikationen) und b) des Verzichts nicht besteht.
Da wir beim Politischen sind, darf ich Ihnen, lieber Herr Professor, gleich sagen,
daß Herr Friedrich mir auf meine Frage eben mitteilte, daß er die Sammlung Ihrer poli-
tischen Schriften als Band im Deutschen Taschenbuch Verlag gern definitiv im Herbst
dieses Jahres herausbringen möchte. Herr Friedrich teilt ganz Ihre Überzeugung, daß
nicht länger gewartet werden sollte, sondern daß der Band mit der Chance großer
Verbreitung und eben auch konkreten Einflusses möglichst bald kommen sollte. Es
war nur der Wunsch, zur DTV-Ausgabe der ATOMBOMBE die zweckmäßige zeitliche
Distanz zu halten, was aber mit dem Zwischenraum von einem Jahr gegeben ist. Herr
Friedrich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihm im Laufe der nächsten Wochen freund-
lich mitteilen würden, wann er mit dem Manuskript rechnen darf, da der Band im
Oktober, spätestens Anfang November 1962 herauskommen soll. - Übrigens haben
sich die DTV-Taschenbücher großartig eingeführt. Der Start darf als voll gelungen
bezeichnet werden. Die Umsätze auch der letzten Zeit übertreffen auch die optimi-
stischen Erwartungen, die wir anfangs hatten. Interessanterweise sind viele bedeu-
tende Verlage, die nicht zum Kreis unserer Gesellschafter gehören, lizenz-gebefreudig,
so Suhrkamp (Brecht und andere Autoren), Ullstein, Claassen, Callwey (Burckhardt
»Danziger Mission«).1325
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tschow nicht gewillt ist oder in der Lage wäre, die sich in gewisser Weise verbürgerli-
chenden Schichten der sowjetischen Gesellschaft für eine militärische Aggression im
Weltmaßstab unter Einsatz des vollen Risikos zu mobilisieren. Die kommunistische
Führung arbeitet aber gewiß weiterhin planmäßig und im Glauben, daß es gelinge,
darauf hin, ohne den Preis des größten Risikos den Westen zu demoralisieren, aus-
einanderzubrechen, Europa zu erobern. Gerade deshalb, und weil die Chance gege-
ben ist, müssen Wachsamkeit, ein eindeutiges moralisches Bewußtsein über Freiheit
und Recht als die grundlegenden Lebenswerte und muß, im notwendigen Vollzug
dieser Einsicht, die weitere Bereitschaft auch zur materiellen Stärke bestehen, um das
Gleichgewicht zu halten. Dieses begünstigt die Aufrechterhaltung des Friedens, der
durch eine Gesinnung von Neutralismus, radikalen Pazifismus nach wie vor gefähr-
det wird - eine bedauerliche, aber nach der Beschaffenheit der menschlichen Dinge
unumgängliche Erkenntnis.
Die Vorstellung eines West-Berlin in neuer Gestalt, die Sie in Ihrem Brief entwik-
kelten, ist verlockend. Sie erwähnen dabei die notwendige »totale Abhängigkeit von
Amerika«, was bedeutet, daß westliche Besatzungstruppen in West-Berlin bleiben
müssen. Ebenso ist die absolute Offenhaltung des freien Zugangs nach Berlin Bedin-
gung, wenn nicht ein Weg beschritten werden soll, der schließlich doch zum Verlust
führen würde. Vielleicht ist mein Denken primitiv, aber ich meine doch, daß eine ent-
scheidende, sich machtpolitisch wirklich unterscheidende dritte Möglichkeit zwi-
schen a) Festhalten am status quo (höchstens mit in der politischen Substanz uner-
heblichen Modifikationen) und b) des Verzichts nicht besteht.
Da wir beim Politischen sind, darf ich Ihnen, lieber Herr Professor, gleich sagen,
daß Herr Friedrich mir auf meine Frage eben mitteilte, daß er die Sammlung Ihrer poli-
tischen Schriften als Band im Deutschen Taschenbuch Verlag gern definitiv im Herbst
dieses Jahres herausbringen möchte. Herr Friedrich teilt ganz Ihre Überzeugung, daß
nicht länger gewartet werden sollte, sondern daß der Band mit der Chance großer
Verbreitung und eben auch konkreten Einflusses möglichst bald kommen sollte. Es
war nur der Wunsch, zur DTV-Ausgabe der ATOMBOMBE die zweckmäßige zeitliche
Distanz zu halten, was aber mit dem Zwischenraum von einem Jahr gegeben ist. Herr
Friedrich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihm im Laufe der nächsten Wochen freund-
lich mitteilen würden, wann er mit dem Manuskript rechnen darf, da der Band im
Oktober, spätestens Anfang November 1962 herauskommen soll. - Übrigens haben
sich die DTV-Taschenbücher großartig eingeführt. Der Start darf als voll gelungen
bezeichnet werden. Die Umsätze auch der letzten Zeit übertreffen auch die optimi-
stischen Erwartungen, die wir anfangs hatten. Interessanterweise sind viele bedeu-
tende Verlage, die nicht zum Kreis unserer Gesellschafter gehören, lizenz-gebefreudig,
so Suhrkamp (Brecht und andere Autoren), Ullstein, Claassen, Callwey (Burckhardt
»Danziger Mission«).1325