Karl Jaspers - Piper Verlag (1967)
573
In Wirklichkeit konnte (kann)a man über die Vernichtung Preussens, zu dem
immerhin Wilhelm v. Humboldt gehörte, nicht glücklich sein; dieses Adjektiv wäre
mißverständlich.1885
Seite 114:
Ich nahm vorher schon Stellung zu der meines Erachtens zu positiven Beurteilung des
heutigen Frankreichs als Hort eines »Geist(es) von Liberalität und Humanität, der in
unseren freiheitswidrigen Willkürlichkeiten fast verschwunden ist.«1886
Sie bringen dann das Beispiel von Sartres Duldung durch de Gaulle. Dem steht aber
gegenüber die Tatsache, daß radikal-liberale u. sozialistische Schriftsteller und Verle-
ger, die gegen die Folterungen in Algerien schrieben, z.T. schwer verfolgt worden sind.
Es wurden Bücher verboten. Die viel schwerwiegendere Frage ist aber: Was geschieht
mit Frankreich, wenn einst de Gaulle die Regierung aus der Hand legt?1887 Steht dann
nicht heute schon die Möglichkeit eines Volksfront-Regimes vor der Tür, bei dem die
Frage der geistigen Freiheit sehr prekär neu gestellt wäre, bzw. wo man als Gegenwir-
kung eine mögliche Militär-Diktatur theoretisch nicht ausschließen könnte? - Wie
oben, ist es zu schwarz - weiss.
Auf derselben Seite sagen Sie etwas weiter unten, Zeile 9 v.u.:
»Barbaren können beides nicht haben.«
Gewiß, Lübkes »Witwe von Cocteau«, wie auch seine überausb spiessige Ordensableh-
nung für Frau Faßbinder, bleiben unvergessen.1888 Aber nun die bundesrepublikani-
schen Deutschen (Politiker) in Bausch und Bogen als »Barbaren« zu bezeichnen (wenn
auch nur im altrömischen Sprachsinn), ginge doch zu weit.
Sind Sie bereit, >Barbaren< zu ersetzen durch >Geist-Fremde<?1889 (Übrigens hat de
Gaulle, historisch erwiesen, ein entscheidendes Maß von Mitschuld an dem scheuß-
lichen Abschlachten von mehr als hunderttausend Kollaborateuren durch die Resi-
stence-Leute,l89° wozu mir erst neulich ein sehr demokratisch gesinnter Kenner jener
Zeit in Frankreich sagte, daß der französische Widerstand zum größten Teil eine
Legende ist, da nur eine winzige Minorität unter Einsatz des Lebens mit der Waffe
Widerstand leistete. Der große Schriftsteller Bernanos hat in dieser Beziehung seinen
Landsleuten bald nach dem Krieg die Leviten gelesen.)
a (kann) hs. Ergänzung über der Zeile
b überaus hs. Vdg. für einmalig
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In Wirklichkeit konnte (kann)a man über die Vernichtung Preussens, zu dem
immerhin Wilhelm v. Humboldt gehörte, nicht glücklich sein; dieses Adjektiv wäre
mißverständlich.1885
Seite 114:
Ich nahm vorher schon Stellung zu der meines Erachtens zu positiven Beurteilung des
heutigen Frankreichs als Hort eines »Geist(es) von Liberalität und Humanität, der in
unseren freiheitswidrigen Willkürlichkeiten fast verschwunden ist.«1886
Sie bringen dann das Beispiel von Sartres Duldung durch de Gaulle. Dem steht aber
gegenüber die Tatsache, daß radikal-liberale u. sozialistische Schriftsteller und Verle-
ger, die gegen die Folterungen in Algerien schrieben, z.T. schwer verfolgt worden sind.
Es wurden Bücher verboten. Die viel schwerwiegendere Frage ist aber: Was geschieht
mit Frankreich, wenn einst de Gaulle die Regierung aus der Hand legt?1887 Steht dann
nicht heute schon die Möglichkeit eines Volksfront-Regimes vor der Tür, bei dem die
Frage der geistigen Freiheit sehr prekär neu gestellt wäre, bzw. wo man als Gegenwir-
kung eine mögliche Militär-Diktatur theoretisch nicht ausschließen könnte? - Wie
oben, ist es zu schwarz - weiss.
Auf derselben Seite sagen Sie etwas weiter unten, Zeile 9 v.u.:
»Barbaren können beides nicht haben.«
Gewiß, Lübkes »Witwe von Cocteau«, wie auch seine überausb spiessige Ordensableh-
nung für Frau Faßbinder, bleiben unvergessen.1888 Aber nun die bundesrepublikani-
schen Deutschen (Politiker) in Bausch und Bogen als »Barbaren« zu bezeichnen (wenn
auch nur im altrömischen Sprachsinn), ginge doch zu weit.
Sind Sie bereit, >Barbaren< zu ersetzen durch >Geist-Fremde<?1889 (Übrigens hat de
Gaulle, historisch erwiesen, ein entscheidendes Maß von Mitschuld an dem scheuß-
lichen Abschlachten von mehr als hunderttausend Kollaborateuren durch die Resi-
stence-Leute,l89° wozu mir erst neulich ein sehr demokratisch gesinnter Kenner jener
Zeit in Frankreich sagte, daß der französische Widerstand zum größten Teil eine
Legende ist, da nur eine winzige Minorität unter Einsatz des Lebens mit der Waffe
Widerstand leistete. Der große Schriftsteller Bernanos hat in dieser Beziehung seinen
Landsleuten bald nach dem Krieg die Leviten gelesen.)
a (kann) hs. Ergänzung über der Zeile
b überaus hs. Vdg. für einmalig