Die christliche Paideia des Johannes Malalas
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lassen den Schluss, dass Malalas keine grammatisch-rhetorische Bildung genossen
hat, unausweichlich erscheinen. Unterhalb der Ebene des grammatisch-rhetorischen
Unterrichts zeigte die antike Bildung eine größere Flexibilität in der Anpassung an
veränderte kulturelle Rahmenbedingungen. So wissen wir von alternativen Bildungs-
angeboten, die sowohl Kenntnisse der Bibel als auch die in der Bürokratie erforderli-
chen Lese- und Schreibfähigkeiten vermittelten.41 Ein solcher Bildungshintergrund
würde die Sprache des Malalas, die sich über die Normen des klassischen Griechisch
hinwegsetzt und Elemente der Bibelsprache, aber auch der Kanzleisprache verbindet,
plausibel erklären.
Die Distanz zur traditionellen Paideia, die bei Malalas zu Tage tritt,42 ist, wie sich
zeigen wird, weder zu seiner Zeit singulär, noch stellt sie innerhalb des Christentums
etwas genuin Neues dar. Das Verhältnis des antiken Christentums zum klassischen
Bildungserbe war nämlich stets ambivalent gewesen.43 44 Dabei reicht das Spektrum der
Reaktionen, die sich vom frühen Christentum bis in die Spätantike beobachten lassen,
von vehementer Ablehnung bis hin zur Assimilierung der paganen Bildung. Anstoß
nahmen Christen stets natürlich am Polytheismus, der in der klassischen Dichtung,
insbesondere bei Homer, dargestellt wird. Dieser Aspekt der paganen Literatur musste
aus christlicher Sicht entweder abgelehnt oder - wie bei Malalas - mit den Mitteln
der allegorischen bzw. rationalisierenden Mythendeutung neutralisiert werden. Was
die formale Seite der Paideia, also die Rhetorik, angeht, so war die Übernahme und
Adaptation der traditionellen Bildung weniger problematisch. Im 4. Jahrhundert bil-
dete sich sogar eine Art christlicher Neoklassizismus444 heraus. Dessen Vertreter wie
Basileios von Cäsarea und Gregor von Nazianz verfügten über eine umfassende klas-
sische Bildung, die sie bei paganen Lehrern erhalten hatten und in einem Prozess der
Assimilierung und Appropriation für christliche Zwecke fruchtbar machten.45 Hier
kam es regelrecht zu einer Verschmelzung von Heidentum und Christentum.46
Als Alternative zur Assimilierung traditioneller Bildung wurde aber auch deren
radikale Ablehnung verfochten. Ein frühes Zeugnis für diese bildungsfeindliche Ten-
denz ist Tatians Oratio ad Graecos aus dem 2. Jahrhundert. Tatian, der wie Malalas
aus Syrien stammte, übt vehemente Kritik an der gesamten paganen Kultur, von der
Rhetorik und Dichtung bis hin zur Philosophie. Insbesondere kritisiert er das von den
Rhetoren vertretene Ideal des Attizismus,47 dem er die schlichte und ungekünstelte
41 Vgl. Liebeschuetz (2001), S. 244 b
42 Etwas zu stark scheint die Bewertung von Scott (1990), S. 79, der geradezu von „an hostility to classical
culture“ spricht. Zu Recht weist Bell (2013), S. 261 daraufhin, dass Malalas’Auseinandersetzung mit der
paganen Kulturtradition - anders als bei vielen Zeitgenossen - gerade nicht von einem furor christianus
bestimmt ist.
43 Zum spannungsreichen Verhältnis des antiken Christentums zur paganen Bildung vgl. Stockmeier
(1967); Schwenk (1992). Speziell zu den christlichen Strategien im Umgang mit der traditionellen
Paideia in der Spätantike vgl. Kaster (1988), S. 70-95.
44 So die Formulierung Jaegers (1961), S. 75.
45 Vgl- Cameron (1991), S. 120-141.
46 Browning (2000), S. 867 spricht von einer „fusion of Hellenic and Christian culture“.
47 Tatianus, Oratio ad Graecos 26, 8; 27, 9.
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lassen den Schluss, dass Malalas keine grammatisch-rhetorische Bildung genossen
hat, unausweichlich erscheinen. Unterhalb der Ebene des grammatisch-rhetorischen
Unterrichts zeigte die antike Bildung eine größere Flexibilität in der Anpassung an
veränderte kulturelle Rahmenbedingungen. So wissen wir von alternativen Bildungs-
angeboten, die sowohl Kenntnisse der Bibel als auch die in der Bürokratie erforderli-
chen Lese- und Schreibfähigkeiten vermittelten.41 Ein solcher Bildungshintergrund
würde die Sprache des Malalas, die sich über die Normen des klassischen Griechisch
hinwegsetzt und Elemente der Bibelsprache, aber auch der Kanzleisprache verbindet,
plausibel erklären.
Die Distanz zur traditionellen Paideia, die bei Malalas zu Tage tritt,42 ist, wie sich
zeigen wird, weder zu seiner Zeit singulär, noch stellt sie innerhalb des Christentums
etwas genuin Neues dar. Das Verhältnis des antiken Christentums zum klassischen
Bildungserbe war nämlich stets ambivalent gewesen.43 44 Dabei reicht das Spektrum der
Reaktionen, die sich vom frühen Christentum bis in die Spätantike beobachten lassen,
von vehementer Ablehnung bis hin zur Assimilierung der paganen Bildung. Anstoß
nahmen Christen stets natürlich am Polytheismus, der in der klassischen Dichtung,
insbesondere bei Homer, dargestellt wird. Dieser Aspekt der paganen Literatur musste
aus christlicher Sicht entweder abgelehnt oder - wie bei Malalas - mit den Mitteln
der allegorischen bzw. rationalisierenden Mythendeutung neutralisiert werden. Was
die formale Seite der Paideia, also die Rhetorik, angeht, so war die Übernahme und
Adaptation der traditionellen Bildung weniger problematisch. Im 4. Jahrhundert bil-
dete sich sogar eine Art christlicher Neoklassizismus444 heraus. Dessen Vertreter wie
Basileios von Cäsarea und Gregor von Nazianz verfügten über eine umfassende klas-
sische Bildung, die sie bei paganen Lehrern erhalten hatten und in einem Prozess der
Assimilierung und Appropriation für christliche Zwecke fruchtbar machten.45 Hier
kam es regelrecht zu einer Verschmelzung von Heidentum und Christentum.46
Als Alternative zur Assimilierung traditioneller Bildung wurde aber auch deren
radikale Ablehnung verfochten. Ein frühes Zeugnis für diese bildungsfeindliche Ten-
denz ist Tatians Oratio ad Graecos aus dem 2. Jahrhundert. Tatian, der wie Malalas
aus Syrien stammte, übt vehemente Kritik an der gesamten paganen Kultur, von der
Rhetorik und Dichtung bis hin zur Philosophie. Insbesondere kritisiert er das von den
Rhetoren vertretene Ideal des Attizismus,47 dem er die schlichte und ungekünstelte
41 Vgl. Liebeschuetz (2001), S. 244 b
42 Etwas zu stark scheint die Bewertung von Scott (1990), S. 79, der geradezu von „an hostility to classical
culture“ spricht. Zu Recht weist Bell (2013), S. 261 daraufhin, dass Malalas’Auseinandersetzung mit der
paganen Kulturtradition - anders als bei vielen Zeitgenossen - gerade nicht von einem furor christianus
bestimmt ist.
43 Zum spannungsreichen Verhältnis des antiken Christentums zur paganen Bildung vgl. Stockmeier
(1967); Schwenk (1992). Speziell zu den christlichen Strategien im Umgang mit der traditionellen
Paideia in der Spätantike vgl. Kaster (1988), S. 70-95.
44 So die Formulierung Jaegers (1961), S. 75.
45 Vgl- Cameron (1991), S. 120-141.
46 Browning (2000), S. 867 spricht von einer „fusion of Hellenic and Christian culture“.
47 Tatianus, Oratio ad Graecos 26, 8; 27, 9.