Die christliche Paideia des Johannes Malalas
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Das gesamte Spektrum der paganen Paideia ist hier vertreten und der Schmähung
ausgeliefert: Die Dichtung in Gestalt Homers; die Naturwissenschaft vertreten durch
Arat; die Philosophie in den Figuren Platons und des Pythagoras; die Rhetorik schließ-
lich in Gestalt des Demosthenes. Die Kritik an Homer lässt sich inhaltlich leicht er-
klären: Der homerische Götterapparat bildete nämlich offenkundig eine naheliegende
Angriffsfläche für christliche Kritik, und auch Platon und Pythagoras stellten insofern
problematische Figuren dar, als die neuplatonische Philosophie in der Spätantike zu
christlichen Diskursen in einem antagonistischen Verhältnis stand und konkurrierende
Sinnangebote lieferte.55 Überraschend erscheint demgegenüber die Verfemung des De-
mosthenes. Denn dessen Reden bezogen sich ja auf politische und juristische Themen,
die in keinerlei Konflikt mit christlichen Werten standen. Die Rhetorik war denn auch,
wie bereits erwähnt, der Teil der klassischen Bildung gewesen, den Christen, sofern sie
sich dieser Bildung nicht grundsätzlich verschlossen, bedenkenlos übernehmen konn-
ten, um christliche Inhalte zu vermitteln. Diese Möglichkeit einer Verschmelzung von
christlicher und paganer Kultur scheint für Romanos undenkbar. Bei ihm zeigt sich
vielmehr dieselbe radikale Ablehnung der gesamten paganen Paideia, wie sie bereits
bei Tatian begegnet war, nun jedoch nicht in einer marginalen soziokulturellen Stel-
lung, sondern geradezu im Zentrum der dominanten Kultur.56 Diese negative Haltung
gegenüber der paganen Bildungstradition dürfte zu dieser Zeit weiter verbreitet gewe-
sen sein. Dass sie auch von bildungsaffinen Christen geteilt werden konnte, zeigt das
Beispiel des Johannes von Telia, eines ebenfalls aus Syrien stammenden Zeitgenossen
des Malalas. Der Überlieferung zufolge sollen seine Eltern ihm, mit Blick auf eine ad-
ministrative oder juristische Karriere, eine klassische Bildung ermöglicht haben, doch
wandte er sich, unter Vernachlässigung dieser Studien, der Askese und der Lektüre
der Heiligen Schriften zu.57 Auch hier lässt sich also eine Abwendung vom klassischen
Bildungserbe hin zu einer christlichen Kultur beobachten.
Auffällig ist, dass Romanos Melodos und Johannes von Telia wie Malalas aus
dem syrischen Kulturraum stammten. Anders als in der griechisch-römischen Bil-
dung standen in der syrischen Bildung christliche Texte im Mittelpunkt, eine klare
Trennung zwischen sprachlicher Bildung und der Vermittlung der christlichen Lehre
gab es hier nicht.58 Wenn man, wie sein syrischer Beiname nahelegt,59 annimmt, dass
Malalas im syrischen Kulturraum aufwuchs und dementsprechend auch eine syrische
55 Vgl. Wildberg (2005). Zum Aspekt der Konkurrenz zwischen christlichem und philosophischem Dis-
kurs vgl. auch Browning (2000), S. 863: „(P)hilosophy often concerned itself with such questions as
whether the universe was created or uncreated, the relation between the human and the divine, and the
foundations of moral conduct, on all of which Christian doctrine had much to say.“ Zur Bedrohung, die
die pagane Philosophie für das Regime Justinians darstellte, vgl. Bell (2013), S. 249 h
56 Maas (1906), S. 24 hat aufgrund von Parallelen zur Religionspolitik Justinians bei Romanos die Vermu-
tung geäußert, dieser habe „in höherem Auftrag gehandelt“. Topping (1976), S. 5 bezeichnet ihn als
„establishment poet“.
57 Näheres bei Brock (1994), S. 156.
58 Vgl. Browning (2000), S. 882.
59 Croke (1990), S. 3 weist zurecht daraufhin, dass der Umstand, dass Malalas mit einem syrischen Namen
identifiziert wurde, auf seine Zugehörigkeit zur syrischen Kultur hindeutet.
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Das gesamte Spektrum der paganen Paideia ist hier vertreten und der Schmähung
ausgeliefert: Die Dichtung in Gestalt Homers; die Naturwissenschaft vertreten durch
Arat; die Philosophie in den Figuren Platons und des Pythagoras; die Rhetorik schließ-
lich in Gestalt des Demosthenes. Die Kritik an Homer lässt sich inhaltlich leicht er-
klären: Der homerische Götterapparat bildete nämlich offenkundig eine naheliegende
Angriffsfläche für christliche Kritik, und auch Platon und Pythagoras stellten insofern
problematische Figuren dar, als die neuplatonische Philosophie in der Spätantike zu
christlichen Diskursen in einem antagonistischen Verhältnis stand und konkurrierende
Sinnangebote lieferte.55 Überraschend erscheint demgegenüber die Verfemung des De-
mosthenes. Denn dessen Reden bezogen sich ja auf politische und juristische Themen,
die in keinerlei Konflikt mit christlichen Werten standen. Die Rhetorik war denn auch,
wie bereits erwähnt, der Teil der klassischen Bildung gewesen, den Christen, sofern sie
sich dieser Bildung nicht grundsätzlich verschlossen, bedenkenlos übernehmen konn-
ten, um christliche Inhalte zu vermitteln. Diese Möglichkeit einer Verschmelzung von
christlicher und paganer Kultur scheint für Romanos undenkbar. Bei ihm zeigt sich
vielmehr dieselbe radikale Ablehnung der gesamten paganen Paideia, wie sie bereits
bei Tatian begegnet war, nun jedoch nicht in einer marginalen soziokulturellen Stel-
lung, sondern geradezu im Zentrum der dominanten Kultur.56 Diese negative Haltung
gegenüber der paganen Bildungstradition dürfte zu dieser Zeit weiter verbreitet gewe-
sen sein. Dass sie auch von bildungsaffinen Christen geteilt werden konnte, zeigt das
Beispiel des Johannes von Telia, eines ebenfalls aus Syrien stammenden Zeitgenossen
des Malalas. Der Überlieferung zufolge sollen seine Eltern ihm, mit Blick auf eine ad-
ministrative oder juristische Karriere, eine klassische Bildung ermöglicht haben, doch
wandte er sich, unter Vernachlässigung dieser Studien, der Askese und der Lektüre
der Heiligen Schriften zu.57 Auch hier lässt sich also eine Abwendung vom klassischen
Bildungserbe hin zu einer christlichen Kultur beobachten.
Auffällig ist, dass Romanos Melodos und Johannes von Telia wie Malalas aus
dem syrischen Kulturraum stammten. Anders als in der griechisch-römischen Bil-
dung standen in der syrischen Bildung christliche Texte im Mittelpunkt, eine klare
Trennung zwischen sprachlicher Bildung und der Vermittlung der christlichen Lehre
gab es hier nicht.58 Wenn man, wie sein syrischer Beiname nahelegt,59 annimmt, dass
Malalas im syrischen Kulturraum aufwuchs und dementsprechend auch eine syrische
55 Vgl. Wildberg (2005). Zum Aspekt der Konkurrenz zwischen christlichem und philosophischem Dis-
kurs vgl. auch Browning (2000), S. 863: „(P)hilosophy often concerned itself with such questions as
whether the universe was created or uncreated, the relation between the human and the divine, and the
foundations of moral conduct, on all of which Christian doctrine had much to say.“ Zur Bedrohung, die
die pagane Philosophie für das Regime Justinians darstellte, vgl. Bell (2013), S. 249 h
56 Maas (1906), S. 24 hat aufgrund von Parallelen zur Religionspolitik Justinians bei Romanos die Vermu-
tung geäußert, dieser habe „in höherem Auftrag gehandelt“. Topping (1976), S. 5 bezeichnet ihn als
„establishment poet“.
57 Näheres bei Brock (1994), S. 156.
58 Vgl. Browning (2000), S. 882.
59 Croke (1990), S. 3 weist zurecht daraufhin, dass der Umstand, dass Malalas mit einem syrischen Namen
identifiziert wurde, auf seine Zugehörigkeit zur syrischen Kultur hindeutet.