40
Johann Martin Thesz
den Maßstäben als Zeichen echter Bildung gelten - war aber nur sehr mangelhaft
(Ελληνικών μέντοι ένεκα ούδέ πεφοιτηκότα προς γραμματιστού πώποτε).
Seine Versuche, Griechisch zu sprechen, sollen bei seinen Mitarbeitern daher zu all-
gemeinem Gelächter geführt haben.78
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Angehörige der politischen
Elite im 6. Jh. nicht mehr, wie früher, über eine traditionelle Bildung verfügen muss-
ten, bietet Justin L, der in den Anekdota Prokops als vollkommen ungebildet und so-
gar als Analphabet (αμάθητος δε γραμμάτων άπάντων καί τό δή Λεγόμενον
άναλφάβητος) bezeichnet wird.79 Prokop zufolge konnte Justin nicht einmal die
Erlasse, die in seinem Namen ergingen, ohne Hilfsmittel unterschreiben, sondern
musste sich einer Schablone bedienen.80 Auch wenn wir in der Darstellung Prokops
mit gewissen Überzeichnungen rechnen müssen,81 darf man den zugrundeliegenden
Sachverhalt einer sehr geringen oder überhaupt nicht vorhandenen formalen Bildung
doch kaum in Frage stellen, denn auch Malalas bezeichnet Justin als άγράμματος.82
Justins Nachfolger auf dem Thron, Justinian, verfügte dann zwar über eine höhere
Bildung, doch entsprach sie, wie folgendes verdammende Urteil Prokops belegt, nicht
den Maßstäben der Bildungselite (Procopius, Historia arcana XIV 2):
πρώτα μέν γάρ ούδέν ές βασιλικόν αξίωμα έπιτηδείως έχον ούτε αυτός
είχεν ούτε ξυμφυλάσσειν ήξίου, άλλά την τε γΛώτταν καί τό σχήμα καί τήν
διάνοιαν έβαρβάριζεν.
Erstens besaß er nämlich weder selbst etwas, was der kaiserlichen Würde
angemessen gewesen wäre, noch fühlte er sich verpflichtet, es zu bewahren, sondern
in seiner Sprache, seinem Äußeren und in seiner Denkweise verhielt er sich wie
ein Barbar.83
Diese Äußerungen Prokops belegen die Verachtung, mit der Angehörige der tradi-
tionellen Bildungselite auf diejenigen herabsahen, die nicht in der Lage waren, at-
tizistisches Griechisch zu schreiben. Auf die Chronik des Malalas dürften sie noch
verächtlicher reagiert haben.84
78 Procopius, Historia arcana XX 17.
79 Procopius, Historia arcana VI11.
80 Procopius, Historia arcana VI12-16.
81 Vasiliev (1950), S. 82-85 hält den Vorwurf des Analphabetismus für unglaubwürdig und weist darauf
hin, dass die Verwendung einer Schreibschablone nicht als Beweis des Analphabetismus dienen kann,
da solche Schablonen für die Herstellung besonders verzierter Unterschriften verwendet wurden; vgl.
Baldwin (1989), S. 125; Schlange-Schöningen (1995), S. 33.
82 Joannes Malalas, Chronographia XVII1. Baldwin (1989), S. 125 vermutet, dass das Wort άγράμματος
lediglich einen „lack of formal education and/or sophisticated culture“ bezeichnet. Zur fehlenden Bil-
dung Justins vgl. außerdem die von Meier (2004), S. 125, Anm. 136 angeführten weiteren Zeugnisse.
83 Die Übersetzung nach Veh (1961), S. 123.
84 Dass Angehörige der Bildungselite die Chronik des Malalas als praktische Informationsquelle verwen-
det haben könnten, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden; vgl. Scott (1990), S. 77, der es für wahr-
scheinlich hält, „(...) that even Malalas’ classicising contemporaries may have depended on chronicles
for their knowledge of the history of the ancient world (...).“
Johann Martin Thesz
den Maßstäben als Zeichen echter Bildung gelten - war aber nur sehr mangelhaft
(Ελληνικών μέντοι ένεκα ούδέ πεφοιτηκότα προς γραμματιστού πώποτε).
Seine Versuche, Griechisch zu sprechen, sollen bei seinen Mitarbeitern daher zu all-
gemeinem Gelächter geführt haben.78
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Angehörige der politischen
Elite im 6. Jh. nicht mehr, wie früher, über eine traditionelle Bildung verfügen muss-
ten, bietet Justin L, der in den Anekdota Prokops als vollkommen ungebildet und so-
gar als Analphabet (αμάθητος δε γραμμάτων άπάντων καί τό δή Λεγόμενον
άναλφάβητος) bezeichnet wird.79 Prokop zufolge konnte Justin nicht einmal die
Erlasse, die in seinem Namen ergingen, ohne Hilfsmittel unterschreiben, sondern
musste sich einer Schablone bedienen.80 Auch wenn wir in der Darstellung Prokops
mit gewissen Überzeichnungen rechnen müssen,81 darf man den zugrundeliegenden
Sachverhalt einer sehr geringen oder überhaupt nicht vorhandenen formalen Bildung
doch kaum in Frage stellen, denn auch Malalas bezeichnet Justin als άγράμματος.82
Justins Nachfolger auf dem Thron, Justinian, verfügte dann zwar über eine höhere
Bildung, doch entsprach sie, wie folgendes verdammende Urteil Prokops belegt, nicht
den Maßstäben der Bildungselite (Procopius, Historia arcana XIV 2):
πρώτα μέν γάρ ούδέν ές βασιλικόν αξίωμα έπιτηδείως έχον ούτε αυτός
είχεν ούτε ξυμφυλάσσειν ήξίου, άλλά την τε γΛώτταν καί τό σχήμα καί τήν
διάνοιαν έβαρβάριζεν.
Erstens besaß er nämlich weder selbst etwas, was der kaiserlichen Würde
angemessen gewesen wäre, noch fühlte er sich verpflichtet, es zu bewahren, sondern
in seiner Sprache, seinem Äußeren und in seiner Denkweise verhielt er sich wie
ein Barbar.83
Diese Äußerungen Prokops belegen die Verachtung, mit der Angehörige der tradi-
tionellen Bildungselite auf diejenigen herabsahen, die nicht in der Lage waren, at-
tizistisches Griechisch zu schreiben. Auf die Chronik des Malalas dürften sie noch
verächtlicher reagiert haben.84
78 Procopius, Historia arcana XX 17.
79 Procopius, Historia arcana VI11.
80 Procopius, Historia arcana VI12-16.
81 Vasiliev (1950), S. 82-85 hält den Vorwurf des Analphabetismus für unglaubwürdig und weist darauf
hin, dass die Verwendung einer Schreibschablone nicht als Beweis des Analphabetismus dienen kann,
da solche Schablonen für die Herstellung besonders verzierter Unterschriften verwendet wurden; vgl.
Baldwin (1989), S. 125; Schlange-Schöningen (1995), S. 33.
82 Joannes Malalas, Chronographia XVII1. Baldwin (1989), S. 125 vermutet, dass das Wort άγράμματος
lediglich einen „lack of formal education and/or sophisticated culture“ bezeichnet. Zur fehlenden Bil-
dung Justins vgl. außerdem die von Meier (2004), S. 125, Anm. 136 angeführten weiteren Zeugnisse.
83 Die Übersetzung nach Veh (1961), S. 123.
84 Dass Angehörige der Bildungselite die Chronik des Malalas als praktische Informationsquelle verwen-
det haben könnten, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden; vgl. Scott (1990), S. 77, der es für wahr-
scheinlich hält, „(...) that even Malalas’ classicising contemporaries may have depended on chronicles
for their knowledge of the history of the ancient world (...).“