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Laura Carrara, Olivier Gengler
„Historisch-philologischer Kommentar zur Chronik des Johannes Malalas“ in ihrer
ersten, konstituierenden Tagung (Tübingen, Frühjahr 2014) zunächst Fragen rund um
die Person des Autors und Umstände der Werkentstehung und -Überlieferung.8 Die
zweite Tagung (Heidelberg, Juni 2015) indes hat sich, der Wichtigkeit des Gegenstan-
des Rechnung tragend, auf die Quellen konzentriert.9 Der vorliegende Band versam-
melt die bei dieser Tagung gehaltenen und für den Druck überarbeiteten Beiträge.
Das soeben Gesagte soll freilich nicht den Eindruck vermitteln, diese rezente Ver-
anstaltung der Heidelberger-Tübinger Forschungsstelle habe vor dem Hintergrund
eines kompletten wissenschaftlichen vacuum stattgefunden. Gerade das,goldene Zeit-
alter4 der altertumswissenschaftlichen, v.a. deutschsprachigen Quellenforschung um
die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ging auch an der Chronik des Malalas nicht
spurlos vorüber; die Quellenkritik wurde aber aus den besagten Gründen auch in jener
Zeit insgesamt weniger intensiv betrieben, als die Beschaffenheit des zu untersuchen-
den Werkes - eben einer Chronik, die sozusagen gattungsmäßig von dem Dialog mit,
ja z.T von der Wiederaufnahme vergangener genreverwandter Traditionen lebt10 - es
an sich nahegelegt hätte. Doch ist die Beschäftigung mit diesem Thema besonders
lohnenswert, da Malalas einerseits selbst erstaunlich viele Quellen (oder zumindest
Gewährsmänner) explizit nennt, andererseits für mehrere berichtete Ereignisse der
einzige Zeuge ist, was notwendigerweise zu einer genaueren Erforschung der Her-
kunft seiner Informationen führt.11 Im Folgenden gilt es, die Entwicklung der älteren
und neueren Malalas-Quellenforschung in ihren wichtigsten Vertretern und mit der
gebotenen Kürze Revue passieren zu lassen, bevor im zweiten Abschnitt dieser Ein-
leitung der vorliegende Sammelband näher präsentiert wird.
1.1 Altere Malalas-Quellenforschung
Die grundlegende Methodik der literaturwissenschaftlich-historischen Quellenfor-
schung - verkürzt, aber wohl nicht verfälschend gesagt: die systematische Prüfung ei-
nes in seine (vermeintlichen) Bestandteile zergliederten Werkes auf seine Abhängigkeit
von einer oder mehreren älteren Schriften hin - wandte, wie bereits angedeutet, auf
die Malalas-Chronik zuerst und großflächig Herman Bourier in einem zweiteiligen
Augsburger Gymnasial-Programm an.12 Bourier, ein Schüler des Münchener Professors
8 Die Tagungsakten sind mittlerweile erschienen in Meier/Radtki/Schulz (2016b).
9 Ein Bericht über diese Veranstaltung liegt in Carrara (2016) vor.
10 Es ist hier nicht der Ort, um auf dieses grundlegende Charakteristikum der byzantinischen Chronistik,
das nicht zuletzt mit der Neigung zur imitatio würdiger Vorgänger zusammenhängt, näher einzugehen:
Zum Phänomen der imitatio in der byzantinischen Literatur siehe etwa die klassische Studie von Hun-
ger (1969/1970); für die konkreten Folgen, die diese forma mentis für die praktische Arbeit eines Chro-
nisten hatte, v. a. hinsichtlich seines Verhältnisses zu den Vorgängern, siehe jüngst die Überlegungen
von Tartaglia (2016), S. 15,19 zur Chronik des Georgios Kedrenos; vgl. auch die Ausführungen von
Kaldellis (2004), S. 17-45 zum Klassizismus des Prokop von Caesarea.
11 Siehe zu diesen zwei Punkten Jeffreys (2003), S. 516 und bereits Jeffreys (1990), S. 167.
12 Bourier (1899); Bourier (1900). Zwanzig Jahre vor Bourier hatte bereits Körting (1879) eine - freilich
nicht ganz vollständige - Liste der von Malalas namentlich zitierten Autoren erstellt, die aber nicht auf
Laura Carrara, Olivier Gengler
„Historisch-philologischer Kommentar zur Chronik des Johannes Malalas“ in ihrer
ersten, konstituierenden Tagung (Tübingen, Frühjahr 2014) zunächst Fragen rund um
die Person des Autors und Umstände der Werkentstehung und -Überlieferung.8 Die
zweite Tagung (Heidelberg, Juni 2015) indes hat sich, der Wichtigkeit des Gegenstan-
des Rechnung tragend, auf die Quellen konzentriert.9 Der vorliegende Band versam-
melt die bei dieser Tagung gehaltenen und für den Druck überarbeiteten Beiträge.
Das soeben Gesagte soll freilich nicht den Eindruck vermitteln, diese rezente Ver-
anstaltung der Heidelberger-Tübinger Forschungsstelle habe vor dem Hintergrund
eines kompletten wissenschaftlichen vacuum stattgefunden. Gerade das,goldene Zeit-
alter4 der altertumswissenschaftlichen, v.a. deutschsprachigen Quellenforschung um
die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ging auch an der Chronik des Malalas nicht
spurlos vorüber; die Quellenkritik wurde aber aus den besagten Gründen auch in jener
Zeit insgesamt weniger intensiv betrieben, als die Beschaffenheit des zu untersuchen-
den Werkes - eben einer Chronik, die sozusagen gattungsmäßig von dem Dialog mit,
ja z.T von der Wiederaufnahme vergangener genreverwandter Traditionen lebt10 - es
an sich nahegelegt hätte. Doch ist die Beschäftigung mit diesem Thema besonders
lohnenswert, da Malalas einerseits selbst erstaunlich viele Quellen (oder zumindest
Gewährsmänner) explizit nennt, andererseits für mehrere berichtete Ereignisse der
einzige Zeuge ist, was notwendigerweise zu einer genaueren Erforschung der Her-
kunft seiner Informationen führt.11 Im Folgenden gilt es, die Entwicklung der älteren
und neueren Malalas-Quellenforschung in ihren wichtigsten Vertretern und mit der
gebotenen Kürze Revue passieren zu lassen, bevor im zweiten Abschnitt dieser Ein-
leitung der vorliegende Sammelband näher präsentiert wird.
1.1 Altere Malalas-Quellenforschung
Die grundlegende Methodik der literaturwissenschaftlich-historischen Quellenfor-
schung - verkürzt, aber wohl nicht verfälschend gesagt: die systematische Prüfung ei-
nes in seine (vermeintlichen) Bestandteile zergliederten Werkes auf seine Abhängigkeit
von einer oder mehreren älteren Schriften hin - wandte, wie bereits angedeutet, auf
die Malalas-Chronik zuerst und großflächig Herman Bourier in einem zweiteiligen
Augsburger Gymnasial-Programm an.12 Bourier, ein Schüler des Münchener Professors
8 Die Tagungsakten sind mittlerweile erschienen in Meier/Radtki/Schulz (2016b).
9 Ein Bericht über diese Veranstaltung liegt in Carrara (2016) vor.
10 Es ist hier nicht der Ort, um auf dieses grundlegende Charakteristikum der byzantinischen Chronistik,
das nicht zuletzt mit der Neigung zur imitatio würdiger Vorgänger zusammenhängt, näher einzugehen:
Zum Phänomen der imitatio in der byzantinischen Literatur siehe etwa die klassische Studie von Hun-
ger (1969/1970); für die konkreten Folgen, die diese forma mentis für die praktische Arbeit eines Chro-
nisten hatte, v. a. hinsichtlich seines Verhältnisses zu den Vorgängern, siehe jüngst die Überlegungen
von Tartaglia (2016), S. 15,19 zur Chronik des Georgios Kedrenos; vgl. auch die Ausführungen von
Kaldellis (2004), S. 17-45 zum Klassizismus des Prokop von Caesarea.
11 Siehe zu diesen zwei Punkten Jeffreys (2003), S. 516 und bereits Jeffreys (1990), S. 167.
12 Bourier (1899); Bourier (1900). Zwanzig Jahre vor Bourier hatte bereits Körting (1879) eine - freilich
nicht ganz vollständige - Liste der von Malalas namentlich zitierten Autoren erstellt, die aber nicht auf