238
Jonas Borsch, Christine Radtki-Jansen
onen‘ zurückgegriffen haben könnte.10 Dieser Hypothese soll auch im vorliegenden
Beitrag nachgegangen werden, namentlich im Rahmen eines Blicks auf die außerge-
wöhnlich detaillierte Darstellung diplomatischer Ereignisse in den 520er und -30er
Jahren. In einem zweiten Schritt soll zudem eine Möglichkeit in Betracht gezogen
werden, auf die wiederholt von Roger Scott hingewiesen wurde,11 nämlich diejenige
der Übernahme von ,Geschichten4, die auf städtischer, regionaler oder darüber hinaus
reichender Ebene in der Bevölkerung verbreitet waren bzw. wurden. Der spekula-
tive Charakter einer solchen Fragestellung liegt auf der Hand. Dennoch erscheint ein
Versuch, das in Malalas’ Vorwort doch offenbar so stark gemachte ,Gehörte4 näher zu
fixieren, im Rahmen des vorliegenden Bandes als ein gewinnbringendes, wenn nicht
sogar notwendiges Unterfangen. Die folgenden Ausführungen können dabei freilich
nur exemplarisch sein. Aus offensichtlichen Gründen müssen ihnen zunächst einige
grundlegende Überlegungen zur Person des Autors vorangehen.
2. Johannes Malalas und seine Tätigkeit im Stab des comes Orientis
Über die Biographie des Johannes Malalas wissen wir außerhalb seines Werkes be-
kanntlich nichts.12 Auch die einschlägigen Informationen, die sich aus seinem eigenen
Werk gewinnen lassen, sind äußerst spärlich; weder Name noch Lebensdaten lassen
sich vollständig rekonstruieren. Als die wahrscheinlichste Lösung gilt eine Geburt
zwischen 490 und 500.13 Wenn Malalas in seinem Vorwort von der Miteinbeziehung
mündlicher Quellen für Geschehnisse spricht, die sich τοϊς έμοϊς χρόνοις (z. e. zu
seiner eigenen Zeit) zugetragen hatten, dann muss er sich demzufolge auf die Bücher
XVI bis XVIII beziehen, die die Regierungszeiten des Anastasios (491-518), Justins I.
(518-527) sowie Justinians (Alleinherrscher von 527 bis 565) betreffen. Die namentliche
Nennung des Zenon im selben Kontext bezeugt zudem, dass er auch diesen Kaiser als
Teil einer jüngeren, mit Blick auf seine Quellennutzung von den anderen Werkteilen
zu unterscheidenden Geschichte ansah.14
Indem Malalas die letzten vier Bücher von den vorangegangenen, auf chronogra-
phischen Quellen basierenden abhebt, suggeriert er, dass er für diese Zeit über In-
formationen verfügte, die ihm nähere, eben „der vollen Wahrheit gemäße“ Einblicke
in aktuelle Ereignisse ermöglichten. Und tatsächlich hat die Forschung der letzten
Jahrzehnte dargelegt, dass Malalas bisweilen Informationen liefert, die in anderen
10 Vgl. Jeffreys (1990), S. 209-210.
11 Scott (1981), S. 23; Scott (1985), S. 102-103,107; zur Rolle von Anekdoten und Folklore bei Malalas vgl.
außerdem Scott (2010a) sowie den Beitrag von Michael Kulikowski in diesem Band.
12 Zur Person des Malalas siehe insb. Croke (1990); Überblicke auch bei Thurn (2000), S. i*~4*; Jeffreys
(2003), S. 501-508 und Thurn/Meier (2009), S. 19-25; verschiedene Spezialstudien sind zudem im ersten
Sammelband des Tübinger-Heidelberger Malalas-Projektes erschienen: vgl. Meier/Radtki/Schulz
(2016b).
13 So bereits Hunger (1978), S. 320; Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986), S. xxii. Mit einer etwas früheren
Ansetzung Croke (1990), S. 4; vgl. jedoch die überzeugenden Argumente von Jeffreys (2003), S. 502.
14 Jeffreys (1990), S. 168; vgl. auch Croke (1990), S. 4.
Jonas Borsch, Christine Radtki-Jansen
onen‘ zurückgegriffen haben könnte.10 Dieser Hypothese soll auch im vorliegenden
Beitrag nachgegangen werden, namentlich im Rahmen eines Blicks auf die außerge-
wöhnlich detaillierte Darstellung diplomatischer Ereignisse in den 520er und -30er
Jahren. In einem zweiten Schritt soll zudem eine Möglichkeit in Betracht gezogen
werden, auf die wiederholt von Roger Scott hingewiesen wurde,11 nämlich diejenige
der Übernahme von ,Geschichten4, die auf städtischer, regionaler oder darüber hinaus
reichender Ebene in der Bevölkerung verbreitet waren bzw. wurden. Der spekula-
tive Charakter einer solchen Fragestellung liegt auf der Hand. Dennoch erscheint ein
Versuch, das in Malalas’ Vorwort doch offenbar so stark gemachte ,Gehörte4 näher zu
fixieren, im Rahmen des vorliegenden Bandes als ein gewinnbringendes, wenn nicht
sogar notwendiges Unterfangen. Die folgenden Ausführungen können dabei freilich
nur exemplarisch sein. Aus offensichtlichen Gründen müssen ihnen zunächst einige
grundlegende Überlegungen zur Person des Autors vorangehen.
2. Johannes Malalas und seine Tätigkeit im Stab des comes Orientis
Über die Biographie des Johannes Malalas wissen wir außerhalb seines Werkes be-
kanntlich nichts.12 Auch die einschlägigen Informationen, die sich aus seinem eigenen
Werk gewinnen lassen, sind äußerst spärlich; weder Name noch Lebensdaten lassen
sich vollständig rekonstruieren. Als die wahrscheinlichste Lösung gilt eine Geburt
zwischen 490 und 500.13 Wenn Malalas in seinem Vorwort von der Miteinbeziehung
mündlicher Quellen für Geschehnisse spricht, die sich τοϊς έμοϊς χρόνοις (z. e. zu
seiner eigenen Zeit) zugetragen hatten, dann muss er sich demzufolge auf die Bücher
XVI bis XVIII beziehen, die die Regierungszeiten des Anastasios (491-518), Justins I.
(518-527) sowie Justinians (Alleinherrscher von 527 bis 565) betreffen. Die namentliche
Nennung des Zenon im selben Kontext bezeugt zudem, dass er auch diesen Kaiser als
Teil einer jüngeren, mit Blick auf seine Quellennutzung von den anderen Werkteilen
zu unterscheidenden Geschichte ansah.14
Indem Malalas die letzten vier Bücher von den vorangegangenen, auf chronogra-
phischen Quellen basierenden abhebt, suggeriert er, dass er für diese Zeit über In-
formationen verfügte, die ihm nähere, eben „der vollen Wahrheit gemäße“ Einblicke
in aktuelle Ereignisse ermöglichten. Und tatsächlich hat die Forschung der letzten
Jahrzehnte dargelegt, dass Malalas bisweilen Informationen liefert, die in anderen
10 Vgl. Jeffreys (1990), S. 209-210.
11 Scott (1981), S. 23; Scott (1985), S. 102-103,107; zur Rolle von Anekdoten und Folklore bei Malalas vgl.
außerdem Scott (2010a) sowie den Beitrag von Michael Kulikowski in diesem Band.
12 Zur Person des Malalas siehe insb. Croke (1990); Überblicke auch bei Thurn (2000), S. i*~4*; Jeffreys
(2003), S. 501-508 und Thurn/Meier (2009), S. 19-25; verschiedene Spezialstudien sind zudem im ersten
Sammelband des Tübinger-Heidelberger Malalas-Projektes erschienen: vgl. Meier/Radtki/Schulz
(2016b).
13 So bereits Hunger (1978), S. 320; Jeffreys/Jeffreys/Scott (1986), S. xxii. Mit einer etwas früheren
Ansetzung Croke (1990), S. 4; vgl. jedoch die überzeugenden Argumente von Jeffreys (2003), S. 502.
14 Jeffreys (1990), S. 168; vgl. auch Croke (1990), S. 4.