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Jonas Borsch, Christine Radtki-Jansen
nähere Diskussion dieser Frage muss an dieser Stelle verzichtet werden; die mögliche
Tätigkeit des Malalas im Büro des comes Orientis ist hier allerdings auch aus ande-
ren Gründen von Belang: Sie konnte dem Chronisten nämlich nicht nur Zugang zu
Dokumenten, sondern auch zu direkt in das von ihm beschriebene Geschehen invol-
vierten Personen verschaffen. Diese Vermutung spielt gerade im Zusammenhang mit
den kriegerischen und diplomatischen Ereignissen der 520er und -30er Jahre an der
Ostgrenze des Reiches eine besondere Rolle. Letztere sollen im Folgenden deswegen
als erstes von zwei Fallbeispielen näher beleuchtet werden.
3. Diplomaten als Informanten
Jonas Borsch
In den letzten Büchern der Chronographia kommt Berichten über außenpolitische Er-
eignisse ein hoher Stellenwert zu. Besonders großen Raum nehmen hier die diploma-
tischen und militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem Römischen und dem
Persischen Reich ein. Mit dem so genannten „Ewigen Frieden“ wurde im Jahr 532 ein
über mehrere Jahrzehnte schwelender Konflikt, der bereits lange vor der Herrschaft
Justinians begonnen hatte - und der nicht eben eine ,Ewigkeit4 später wieder aufflam-
men sollte -, zumindest vorübergehend beigelegt.21 Um die Einigung zwischen den
beiden Großreichen zu ermöglichen, waren dreieinhalb Jahre an Verhandlungen und
diplomatischen Maßnahmen auf höchster Ebene nötig gewesen. Das XVIII. Buch
der Chronographia greift diese Verhandlungen und die mit ihnen zusammenhängen-
den Kriegsereignisse in insgesamt knapp 20 Kapiteln auf (mit Unterbrechungen). In
Sachen Detailfülle übertrifft dieser Bericht sogar unsere Hauptquelle für den Konflikt
zwischen Persern und Römern im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts, die Darstellung
in Prokops Perserkriegen. Beide Berichte bieten jedoch sich ergänzende Informationen
und ermöglichen es so, ein vergleichsweise vollständiges Bild des Verhandlungspro-
zesses und der mit ihm verbundenen Ereignisse zu rekonstruieren.22 Der Vergleich
S. 21. Zweifel an den Zugangsmöglichkeiten des Malalas zu offiziellen Dokumenten äußert etwa Puech
(2006), S. 215; dezidiert dagegen sprechen sich Burgess/Kulikowski (2013), S. 223 Anm. 83 aus. Eine
nähere Betrachtung dieser Frage bietet Michael Kulikowski jetzt in seinem Beitrag in diesem Band: Er
vermutet, dass Malalas sich eher an öffentlichen Bekanntmachungen als an Archivmaterialien und
consularia bedient habe; diesen Befund leitet er vor allem aus dem wenig tragfähigen chronologischen
Grundgerüst des Werkes ab. Zur möglichen Verwendung öffentlicher Aushänge durch Malalas vgl.
außerdem den Beitrag von Roger Scott in diesem Band.
21 Der Friedensvertrag wurde bereits im Jahr 540 durch einen Einfall Chosraus I. gebrochen. Zum
Zustandekommen des Friedens und den vorangehenden Konflikten vgl. grundlegend Greatrex (1998);
zu den römisch-persischen Spannungen der Spätantike außerdem Blockley (1992); Greatrex/Lieu
(2002); Börm (2007) sowie Lee (1993) mit Konzentration auf die Mechanismen der römischen
Außenpolitik.
22 Unmittelbar die römisch-persischen Verhandlungen betreffende Passagen bei Prokop: Procopius,
Bellum Persicum I 13; 16; 21; 22; bei Malalas: Chronographia XVIII 34 (S. 373, 43-45 Thurn); 36 (S. 375,
88-90 Thurn); 44 (S. 377, 28-378,47 Thurn); 50 (S. 380, 84-92 und 8-9 Thurn); 53 (S. 382,31-47Thurn); 54
(S. 383, 48-50 Thurn); 56 (S. 384, 81-85 Thurn); 61 (S. 390, 82-8 Thurn); 66 (S. 392, 69-71 Thurn); 68
Jonas Borsch, Christine Radtki-Jansen
nähere Diskussion dieser Frage muss an dieser Stelle verzichtet werden; die mögliche
Tätigkeit des Malalas im Büro des comes Orientis ist hier allerdings auch aus ande-
ren Gründen von Belang: Sie konnte dem Chronisten nämlich nicht nur Zugang zu
Dokumenten, sondern auch zu direkt in das von ihm beschriebene Geschehen invol-
vierten Personen verschaffen. Diese Vermutung spielt gerade im Zusammenhang mit
den kriegerischen und diplomatischen Ereignissen der 520er und -30er Jahre an der
Ostgrenze des Reiches eine besondere Rolle. Letztere sollen im Folgenden deswegen
als erstes von zwei Fallbeispielen näher beleuchtet werden.
3. Diplomaten als Informanten
Jonas Borsch
In den letzten Büchern der Chronographia kommt Berichten über außenpolitische Er-
eignisse ein hoher Stellenwert zu. Besonders großen Raum nehmen hier die diploma-
tischen und militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem Römischen und dem
Persischen Reich ein. Mit dem so genannten „Ewigen Frieden“ wurde im Jahr 532 ein
über mehrere Jahrzehnte schwelender Konflikt, der bereits lange vor der Herrschaft
Justinians begonnen hatte - und der nicht eben eine ,Ewigkeit4 später wieder aufflam-
men sollte -, zumindest vorübergehend beigelegt.21 Um die Einigung zwischen den
beiden Großreichen zu ermöglichen, waren dreieinhalb Jahre an Verhandlungen und
diplomatischen Maßnahmen auf höchster Ebene nötig gewesen. Das XVIII. Buch
der Chronographia greift diese Verhandlungen und die mit ihnen zusammenhängen-
den Kriegsereignisse in insgesamt knapp 20 Kapiteln auf (mit Unterbrechungen). In
Sachen Detailfülle übertrifft dieser Bericht sogar unsere Hauptquelle für den Konflikt
zwischen Persern und Römern im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts, die Darstellung
in Prokops Perserkriegen. Beide Berichte bieten jedoch sich ergänzende Informationen
und ermöglichen es so, ein vergleichsweise vollständiges Bild des Verhandlungspro-
zesses und der mit ihm verbundenen Ereignisse zu rekonstruieren.22 Der Vergleich
S. 21. Zweifel an den Zugangsmöglichkeiten des Malalas zu offiziellen Dokumenten äußert etwa Puech
(2006), S. 215; dezidiert dagegen sprechen sich Burgess/Kulikowski (2013), S. 223 Anm. 83 aus. Eine
nähere Betrachtung dieser Frage bietet Michael Kulikowski jetzt in seinem Beitrag in diesem Band: Er
vermutet, dass Malalas sich eher an öffentlichen Bekanntmachungen als an Archivmaterialien und
consularia bedient habe; diesen Befund leitet er vor allem aus dem wenig tragfähigen chronologischen
Grundgerüst des Werkes ab. Zur möglichen Verwendung öffentlicher Aushänge durch Malalas vgl.
außerdem den Beitrag von Roger Scott in diesem Band.
21 Der Friedensvertrag wurde bereits im Jahr 540 durch einen Einfall Chosraus I. gebrochen. Zum
Zustandekommen des Friedens und den vorangehenden Konflikten vgl. grundlegend Greatrex (1998);
zu den römisch-persischen Spannungen der Spätantike außerdem Blockley (1992); Greatrex/Lieu
(2002); Börm (2007) sowie Lee (1993) mit Konzentration auf die Mechanismen der römischen
Außenpolitik.
22 Unmittelbar die römisch-persischen Verhandlungen betreffende Passagen bei Prokop: Procopius,
Bellum Persicum I 13; 16; 21; 22; bei Malalas: Chronographia XVIII 34 (S. 373, 43-45 Thurn); 36 (S. 375,
88-90 Thurn); 44 (S. 377, 28-378,47 Thurn); 50 (S. 380, 84-92 und 8-9 Thurn); 53 (S. 382,31-47Thurn); 54
(S. 383, 48-50 Thurn); 56 (S. 384, 81-85 Thurn); 61 (S. 390, 82-8 Thurn); 66 (S. 392, 69-71 Thurn); 68