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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0520
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Stellenkommentar UB IV WB 8, KSA 1, S. 473-474 493

habe „den jüdischen Komponisten Meyerbeer mit einer Devotheit umworben,
die zu seiner Kritik am jüdischen Charakter nicht recht passen will" (Geck
2004, 34). Einerseits versuchte Wagner Meyerbeer durch strategisches Verhal-
ten für seine Zwecke zu instrumentalisieren, andererseits jedoch polemisierte
er später heftig gegen ihn, indem er ihm in seiner Schrift Oper und Drama
(1851) bloße Effekthascherei vorwarf. (Vgl. dazu NK 474, 3-11.) Die engagierte
Unterstützung, die er in der schwierigen Lebenssituation seiner Pariser Jahre
durch Meyerbeer erfahren hatte, spielte Wagner im späteren autobiographi-
schen Rückblick herunter.
474, 3-11 jetzt, da es allmählich bekannt geworden ist, durch welches überaus
künstlich gesponnene Gewebe von Beeinflussungen aller Art Meyerbeer jeden sei-
ner grossen Siege vorzubereiten und zu erreichen wusste und wie ängstlich die
Abfolge der „Effecte" in der Oper selbst erwogen wurde, wird man auch den Grad
von beschämter Erbitterung verstehen, welche über Wagner kam, als ihm über
diese beinahe nothwendigen „Kunstmittel", dem Publikum einen Erfolg abzurin-
gen, die Augen geöffnet wurden.] In seiner Schrift Oper und Drama kritisierte
Wagner das musikalische Schaffen Meyerbeers, indem er dem Komponisten
vorwarf, er richte seine Werke bloß auf äußerliche Effekte aus. In diesem Zu-
sammenhang sprach Wagner sogar polemisch von einer Wirkung ohne Ursa-
che: „Das Geheimniß der Meyerbeer'schen Opernmusik ist - der Effekt. Wol-
len wir uns erklären, was wir unter diesem ,Effekte' zu verstehen haben, so ist
es wichtig, zu beachten, daß wir uns gemeinhin des näherliegenden Wortes
,Wirkung' hierbei nicht bedienen. Unser natürliches Gefühl stellt sich den
Begriff ,Wirkung' immer nur im Zusammenhänge mit der vorhergehenden Ur -
sache vor: wo wir nun, wie im vorliegenden Falle, unwillkürlich zweifelhaft
darüber sind, ob ein solcher Zusammenhang bestehe, oder wenn wir sogar
darüber belehrt sind, daß ein solcher Zusammenhang gar nicht vorhanden sei,
so sehen wir in der Verlegenheit uns nach einem Worte um, das den Eindruck,
den wir z. B. von Meyerbeer'schen Musikstücken erhalten zu haben vermeinen,
doch irgendwie bezeichne, und so wenden wir ein ausländisches, unserem na-
türlichen Gefühle nicht unmittelbar nahe stehendes Wort, wie eben dieses ,Ef-
fekt' an. Wollen wir daher genauer Das bezeichnen, was wir unter diesem
Worte verstehen, so dürfen wir ,Effekt' übersetzen durch ,Wirkung ohne
Ursache'" (GSD III, 301). Vgl. dazu auch Thomas Mann (Bd. IX, 417).
Trotz dieser Kritik an Meyerbeer, die Wagner in seiner Schrift Oper und
Drama recht umständlich formuliert, lassen sich Charakteristika der Meyer-
beerschen Musik wie leichte Melodiefolgen, einprägsame Wiederholungen
oder pompöse Auftakte auch in Wagners eigenen Kompositionen finden. Die
Faszination durch „Effecte" relativiert N. in UB IV WB allerdings zu einer nur
anfänglichen Versuchung, die Wagner selbst allmählich durch einen Prozess
 
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