Überblickskommentar 9
nach Jahren der Nichtbeachtung den ,Durchbruch' zu schaffen. Darauf folgte
notwendigerweise der Absturz. Im Vorgefühl des Wahnsinns-Schicksals mach-
te er dieses mit auffällig autoreferentiellem Bezug in der Morgenröthe zum The-
ma - auch im Bewusstsein der traditionellen und damals wirkungsvoll aktuali-
sierten Verbindung von ,Genie und Wahnsinn', denn von unbändigem Ehrgeiz
getrieben (er selbst stellte dies fest) wollte er sich als geniale Ausnahmegestalt
inszenieren. Hierzu der ausführliche Kommentar zu Μ 14, insbesondere S. 92.
Schließlich litt er unter der zu dieser Zeit schon fast vollständigen Erblindung,
die er allerdings im Rückgriff auf literarische Vorbilder, so auf den blinden
Sänger Homer, ebenfalls als Zeichen der Auserwähltheit auszudeuten suchte.
Im Brief vom 9. Februar 1881 schrieb N. an Heinrich Köselitz: „Die Ortho-
graphie und die grammatische Correktheit, lieber Freund, sind wieder Ihre
Sache, ich habe keine andre Orthographie als die Köselitzische. Mitunter ma-
che ich Sprachfehler z. B. in der Bildung der Conjunctive: verbessern Sie mich
in allen Stücken, ohne irgend ein weiteres Wort!" (KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 83) Am
20. März 1881 modifizierte er den Titel, wiederum in einem Brief an Köselitz,
indem er bestimmte: „Nicht ,Eine Morgenröthe', sondern nur: Morgenröthe"
(KSB 6/KGB III/1, Nr. 94, S. 73, Z. 57 f.). Alsbald schickte N. noch einen Nach-
trag, in den er auch Texte aus L'Ombra di Venezia mit manchen Veränderungen
aufnahm. Am 19. Juni 1881 teilte er dann seinem Verleger Ernst Schmeitzner in
Chemnitz mit: „Die Correktur ist beendet" (KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 117, S. 93,
Z. 4). Wie schon N.s frühere Bücher fand auch dieses Werk kaum Interesse, es
wurde wenig gekauft. Von der Gesamtauflage von 1000 Exemplaren waren
nach fünf Jahren weniger als 250 Exemplare verkauft (Schmeitzner an N., 1. 7.
1886, KGB ΙΙΙ/4, Nr. 387, S. 191-192). Im Jahre 1887 erschienen die liegengeblie-
benen Lagerbestände der Morgenröthe mit einer neu hinzugefügten Vorrede
sowie der Titel-Erweiterung Neue Ausgabe mit einer einführenden Vorrede bei
E. W. Fritzsch in Leipzig. Bereits 1886 hatte N. Neuausgaben der Geburt der
Tragödie und von Menschliches, Allzumenschliches auf die Bahn gebracht, im
Jahr 1887 ließ er auf die Neuausgabe der Morgenröthe auch Neuausgaben der
Fröhlichen Wissenschaft und der ersten drei Teile des Zarathustra folgen. Damit
suchte er seinem bisher kaum beachteten Werk Aufmerksamkeit zu verschaf-
fen. Die jeweils neu beigefügten Vorreden sollten diesem Zweck in besonderer
Weise dienen, indem sie die wesentlichen Themen und Intentionen profilier-
ten. In diesem übergreifenden Kontext steht auch die neue Ausgabe der Mor-
genröthe.
Dass N. für die Verfassung dieser umfangreichen Sammlung von Kurztex-
ten trotz langer Unterbrechungen und gravierender Einschränkungen durch
seine Krankheit nicht länger als achtzehn Monate brauchte, liegt nicht zuletzt
daran, dass er auf viele Haupt-Elemente aus der vorausgehenden Schrift
nach Jahren der Nichtbeachtung den ,Durchbruch' zu schaffen. Darauf folgte
notwendigerweise der Absturz. Im Vorgefühl des Wahnsinns-Schicksals mach-
te er dieses mit auffällig autoreferentiellem Bezug in der Morgenröthe zum The-
ma - auch im Bewusstsein der traditionellen und damals wirkungsvoll aktuali-
sierten Verbindung von ,Genie und Wahnsinn', denn von unbändigem Ehrgeiz
getrieben (er selbst stellte dies fest) wollte er sich als geniale Ausnahmegestalt
inszenieren. Hierzu der ausführliche Kommentar zu Μ 14, insbesondere S. 92.
Schließlich litt er unter der zu dieser Zeit schon fast vollständigen Erblindung,
die er allerdings im Rückgriff auf literarische Vorbilder, so auf den blinden
Sänger Homer, ebenfalls als Zeichen der Auserwähltheit auszudeuten suchte.
Im Brief vom 9. Februar 1881 schrieb N. an Heinrich Köselitz: „Die Ortho-
graphie und die grammatische Correktheit, lieber Freund, sind wieder Ihre
Sache, ich habe keine andre Orthographie als die Köselitzische. Mitunter ma-
che ich Sprachfehler z. B. in der Bildung der Conjunctive: verbessern Sie mich
in allen Stücken, ohne irgend ein weiteres Wort!" (KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 83) Am
20. März 1881 modifizierte er den Titel, wiederum in einem Brief an Köselitz,
indem er bestimmte: „Nicht ,Eine Morgenröthe', sondern nur: Morgenröthe"
(KSB 6/KGB III/1, Nr. 94, S. 73, Z. 57 f.). Alsbald schickte N. noch einen Nach-
trag, in den er auch Texte aus L'Ombra di Venezia mit manchen Veränderungen
aufnahm. Am 19. Juni 1881 teilte er dann seinem Verleger Ernst Schmeitzner in
Chemnitz mit: „Die Correktur ist beendet" (KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 117, S. 93,
Z. 4). Wie schon N.s frühere Bücher fand auch dieses Werk kaum Interesse, es
wurde wenig gekauft. Von der Gesamtauflage von 1000 Exemplaren waren
nach fünf Jahren weniger als 250 Exemplare verkauft (Schmeitzner an N., 1. 7.
1886, KGB ΙΙΙ/4, Nr. 387, S. 191-192). Im Jahre 1887 erschienen die liegengeblie-
benen Lagerbestände der Morgenröthe mit einer neu hinzugefügten Vorrede
sowie der Titel-Erweiterung Neue Ausgabe mit einer einführenden Vorrede bei
E. W. Fritzsch in Leipzig. Bereits 1886 hatte N. Neuausgaben der Geburt der
Tragödie und von Menschliches, Allzumenschliches auf die Bahn gebracht, im
Jahr 1887 ließ er auf die Neuausgabe der Morgenröthe auch Neuausgaben der
Fröhlichen Wissenschaft und der ersten drei Teile des Zarathustra folgen. Damit
suchte er seinem bisher kaum beachteten Werk Aufmerksamkeit zu verschaf-
fen. Die jeweils neu beigefügten Vorreden sollten diesem Zweck in besonderer
Weise dienen, indem sie die wesentlichen Themen und Intentionen profilier-
ten. In diesem übergreifenden Kontext steht auch die neue Ausgabe der Mor-
genröthe.
Dass N. für die Verfassung dieser umfangreichen Sammlung von Kurztex-
ten trotz langer Unterbrechungen und gravierender Einschränkungen durch
seine Krankheit nicht länger als achtzehn Monate brauchte, liegt nicht zuletzt
daran, dass er auf viele Haupt-Elemente aus der vorausgehenden Schrift