Metadaten

Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0029
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
14 Morgenröthe

ne". Die Geburt der „r(e)ealistischen Moralwissenschaft" aus der Idee einer mo-
nistischen Naturkonzeption (1993); Ludger Lütkehaus: Ein heiliger Immoralist,
Paul Ree (1849-1901) (2001).
Was für N.s Verhältnis zu seinen schon genannten Quellen gilt, dass er
sich nämlich häufig aus zweiter Hand bediente, gilt auch für seine philosophi-
schen und literarischen Quellen. Meistens benutzte er Literatur- oder Philoso-
phiegeschichten, um sich rasch einen Überblick zu verschaffen oder auch nur
einzelne Partien zu rezipieren, so etwa für Kant den dritten und vierten Band
von Kuno Fischers Werk über die neuzeitliche Philosophie, und natürlich auch
die vielfältigen Kant-Bezüge im Werk Schopenhauers, des einzigen Philoso-
phen, in den er sich intensiv vertieft hatte. Kaum etwas ist bezeichnender für
N.s Verhältnis zu den philosophischen Quellen als die Tatsache, dass er sich
zwar oft auf Kant bezieht, immer wieder auf Hegel anspielt, gelegentlich auch
Fichte erwähnt, aber kein einziges Werk Kants oder Fichtes und nur den ab-
schließenden Band von Hegels Enzyklopädie in seiner persönlichen Bibliothek
hatte, dafür aber viele sekundäre Darstellungen und aktuelle Trend-Literatur.
Mit wenigen Ausnahmen zog er freilich auch diese nur eklektisch zu Rate.
Abgesehen davon, dass N. in seinem mit häufigen Ortswechseln verbunde-
nen Wanderleben in der Zeit der Morgenröthe nur eine beschränkte Zahl von
Werken bei sich führen konnte, abgesehen auch von seinem Augenleiden, das
ihn oft am Lesen hinderte, ist dieses Vorgehen in der Auswahl von - nicht
genannten - Quellen und der Umgang mit ihnen auch von der aphoristischen
Struktur der Morgenröthe mitbedingt. Für die insgesamt 575 Kurztexte kam oft
nur eine impulshaft anregende Kurzlektüre in Frage, etwa um markante
Grundthesen aufzugreifen oder illustrativ verwendbare Beispiele zu finden.
Derartiges wird nur in den Einzelstellen-Kommentaren nachgewiesen. Den-
noch gibt es einige Werke, die für N. von übergreifender Bedeutung bei der
Ausarbeitung der Morgenröthe waren. Über das aufklärerische Grundkonzept
machte er sich in Schriften zur Aufklärung kundig. Intensiv studierte er, wie
die zahlreichen Randnotizen und unterstrichenen Stellen zeigen, die zweibän-
dige Darstellung von William Edward Hartpole Lecky: Geschichte des Ursprun-
ges und Einflusses der Aufklärung in Europa (1873). Seinem thematisch leiten-
den Interesse an der Moralkritik entsprechend, die alle ,Moral' aus „morali-
schen Vorurtheilen" herleitet, arbeitete er das von ihm auch mit zahlreichen
Randnotizen und Unterstreichungen versehene Werk von Johann Julius Bau-
mann durch: Handbuch der Moral nebst Abriss der Rechtsphilosophie (1879).
Mit seiner psychologisch-physiologischen Methode wirkte es in vielen Teilas-
pekten und Begriffsbildungen auf die Morgenröthe. Im Januar 1880 erwarb N.
für seine persönliche Bibliothek außerdem ein Werk, das er ebenfalls häufig
annotierte: Herbert Spencer: Die Thatsachen der Ethik (1879). Für die immer
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften